Glyphosat-Diskussion

Steinbock
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Re: Glyphosat-Diskussion

#911

Beitrag von Steinbock » Di 27. Jun 2017, 19:52

emil17 hat geschrieben:Wird der Komplexbildner chemisch verändert (etwa durch Abbau des Glyphosats im Boden), so wird das maskierte Ion wieder frei und verhält sich wie vorher. Da zudem die Mengen von K, Mg und Ca im Boden verglichen mit der eingesetzten Glyphosatmenge riesig sind (alle sind Bestandteile von Gesteinen und Makronährlemente für die Pflanzen), kann Deine Befürchtung rein quantitativ keine Rolle spielen.
Ja ich weiß AMPA und so.
Von Glyphosat wurde u.a. behauptet, dass es sich sehr schnell im Boden abbaut und wieder verschwindet. Das ist nachgewiesenermaßen nicht der Fall, genausowenig wie das BT-Gift nicht im Boden und in den silierten Pflanzen verschwunden ist, entgegen anderslautender Behauptungen. Ich verweise da z.B. auf den Vortrag von Gottfried Glöckner letztes Jahr im Herbst in der Schweiz ("Ein Landwirt packt aus" bei YT).

Es kommt weniger darauf an wieviel Gramm Ackerboden wir pro Tag zu uns nehmen, sondern was in den Pflanzen alles so enthalten ist (Stichwort zum Beispiel Sikkation). Und wie verteilt sich Glyphosat im Boden (Stichwort Unkrautbekämpfung vor der Aussaat) wenn es regnet? Verläuft das großflächig ohne dass es irgendwie von den Pflanzen über seine Wurzeln aufgenommen wird? Samen wachsen auch mit Restfeuchte im Boden.
Deutschland
Unkräuter können direkt vor oder bis zu fünf Tage nach der Aussaat mit Glyphosat bekämpft werden. Laut einer Expertenbefragung aus dem Jahr 2011 werden 30 % der deutschen Ackerfläche jährlich mit Glyphosat behandelt.[28][29] Eine Umfrage unter 896 Landwirten aus demselben Jahr schätzte den Flächenanteil auf 39 %.[30] Bei der Pfluglosen Bodenbearbeitung wird mit Ausnahme Süddeutschlands standardmäßig Glyphosat verwendet.
https://de.wikipedia.org/wiki/Glyphosat#Deutschland

Nach all den Informationen, die man so über die normalen Medien, aber erst recht durch das Internet sich beschaffen kann, verstehe ich Leute kaum noch, die die Anwendung solcher Gifte als harmlos ansehen.
Und ich persönlich halte inzwischen sowohl Glyphosat als auch die ganzen anderen Gifte, die zum Teil noch viel gefährlicher sind (z.B. Bestandteile von Roundup) für einen kompletten Schwachsinn, weil hier ein Kampf gegen die Natur geführt wird, der erstens völlig überflüssig (Ingham, Francé, Kaiser, Brown, Braun, Wenz, Näser, Shiva etc.) und zudem auch noch gesundheitschädlich für uns, unsere Kinder und Enkelkinder ist.
The area of temporary hypoxic bottom water that occurs most summers off the coast of Louisiana in the Gulf of Mexico[19] is the largest recurring hypoxic zone in the United States.[20] The Mississippi River, which is the drainage area for 41% of the continental United States, dumps high-nutrient runoff such as nitrogen and phosphorus into the Gulf of Mexico.
The discharge of treated sewage from urban areas (pop. c 12 million in 2009) combined with agricultural runoff deliver c. 1.7 million tons of phosphorus and nitrogen into the Gulf of Mexico every year.
[Von den ganzen (Agrar- und Industrie-)Giften wird natürlich nichts erwähnt.]
https://en.wikipedia.org/wiki/Dead_zone ... ad_zone.27

Der folgende See liegt etwa 200 km südöstlich von Los Angeles in einer Wüste:
The sea is fed by the New, Whitewater, and Alamo Rivers, as well as agricultural runoff, drainage systems, and creeks. The rapidly shrinking sea was a "looming environmental and public health crisis"
https://en.wikipedia.org/wiki/Salton_Sea
Die Schwankungen im Wasserspiegel führten in den 1950er und 1960er Jahren wiederholt zu Überflutungen der angrenzenden Orte, vor allem aber bereitet der ständig zunehmende Salzgehalt Probleme, der inzwischen mit 4,4 Prozent bereits deutlich über dem Salzgehalt von Meerwasser liegt und oberhalb dessen lediglich die Barsche überlebensfähig sind. Außerdem führt der hohe Anteil an Düngemitteln aus der Landwirtschaft in den Zuflüssen zu einer vermehrten Algenblüte und zu erhöhten Konzentrationen von Bakterien, was wiederum den Vogelbestand gefährdet.
https://de.wikipedia.org/wiki/Saltonsee

Die Anrainer, speziell die Kinder leiden unter massiven Gesundheitsproblemen und das ist garantiert nicht nur auf normalen Staub oder Salz in der Luft zurückzuführen. Die wahre Ursache sind hier höchstwahrscheinlich auch die ganzen Gifte, die in der US-Landwirtschaft eingesetzt und bei Überschuss in die Flüsse gespült werden, weil man nicht jeden Quadratmeter perfekt sprühen kann.

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Re: Glyphosat-Diskussion

#912

Beitrag von Rohana » Di 27. Jun 2017, 19:59

emil17 hat geschrieben:[...] kann Deine Befürchtung rein quantitativ keine Rolle spielen.
Ich glaube dieser Satz fasst grosse Teile der Diskussion gut zusammen.

Steinbock, du nimmst amerikanische Verhältnisse her und möchtest die auf die deutsche Landwirtschaft übertragen? Funktioniert nicht. Dosis, Gift und so.
Ein jeder spinnt auf seine Weise, der eine laut, der andere leise... (Ringelnatz)

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Re: Glyphosat-Diskussion

#913

Beitrag von viktualia » Di 27. Jun 2017, 20:49

Dosis, Gift und so.
Vielleicht meint er den steten Tropfen.

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Re: Glyphosat-Diskussion

#914

Beitrag von Steinbock » Mi 28. Jun 2017, 13:58

Rohana hat geschrieben:Steinbock, du nimmst amerikanische Verhältnisse her und möchtest die auf die deutsche Landwirtschaft übertragen? Funktioniert nicht. Dosis, Gift und so.
Ach so. Wie kommt es dann aber, dass wir praktisch alle Glyphosat im Urin haben? Schüttet da etwa jemand heimlich Glyphosat in unser Trinkwasser?

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Re: Glyphosat-Diskussion

#915

Beitrag von emil17 » Mi 28. Jun 2017, 15:56

Steinbock hat geschrieben: Ach so. Wie kommt es dann aber, dass wir praktisch alle Glyphosat im Urin haben? Schüttet da etwa jemand heimlich Glyphosat in unser Trinkwasser?
Nun, das ist leicht zu verstehen: Das Zeug wird jährlich auf etwa 30 - 40% der Ackerfläche ausgebracht (wenn wiki recht hat), das sind für Deutschland dann etwa 4.5 Millionen Hektar. Es ist also allgegenwärtig.
Weil die Menge einer Substanz, die abgebaut oder verdünnt wird, prinzipiell mit der Zeit exponentiell abnimmt, wird ihre Konzentration nie Null. Mit den heute zur Verfgung stehenden sehr empfindlichen Analysegeräten ist Glyphosat denn auch überall nachweisbar.
Eine Aussage der Präsenz einer Substanz sagt ohne die Konzentration deshalb nur aus, dass ein genügend empfindlicher Nachweis verwendet wurde. Deswegen steht in Analyseberichten auch nicht "nicht vorhanden", sondern "unter der Nachweisgrenze".
Dass die Wirkung chemischer Substanzen per Zufall entdeckt werden, weil es Abfallprodukte ganz anderer Forschungszweige sind, ist übrigens nicht so selten (wie Centauri erwähnt): andere Beispiele sind Penicillin oder der Klebstoff für die PostIt-Etiketten oder Teflon.

Ich möchte klarstellen, dass ich kein Befürworter der Breitbandanwendung solcher "lanwirtschaftlicher Produktionshilfsstoffe" bin, wie sie gerne verharmlosend genannt werden. Nur sollte man keinen Skandal aus Tatsachen machen, die in der chemischen Analytik ganz normal sind und nicht die Problematik dieser Substanzen ausmachen.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

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Re: Glyphosat-Diskussion

#916

Beitrag von Wildmohn » Mi 28. Jun 2017, 19:37

Man kann die Sache drehen und wenden, aber das Prinzip bleibt bestehen: Nämlich eine industrielle Landwirtschaft, die großen Schaden anrichtet und größtenteils Zerstörung und Krankheiten verursacht. Das sollte man beim "klein-klein analysieren" nicht aus den Augen verlieren.

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Re: Glyphosat-Diskussion

#917

Beitrag von emil17 » Do 29. Jun 2017, 06:02

Wildmohn hat geschrieben:Man kann die Sache drehen und wenden, aber das Prinzip bleibt bestehen: Nämlich eine industrielle Landwirtschaft, die großen Schaden anrichtet und größtenteils Zerstörung und Krankheiten verursacht. Das sollte man beim "klein-klein analysieren" nicht aus den Augen verlieren.
Wenn du das so ganzheitlich beurteilst. sollstest du aber auch folgendes erwähnen: DIese industrielle Landwirtschaft schafft es immerhin, 230 Einwohner pro Quadratkilometer so zu ernähren, dass die Lebenserwartung der Bevölkerung so hoch ist wie nie zuvor in der Geschichte, und dass die Lebensmittel so billig sind wie nie zuvor, gemessen an der Kaufkraft der Bevölkerung.
Nur eine effiziente Nahrungsmittelproduktion gibt der Mehrzahl der Bevölkerung genug persönliche Freiheit, um sich anderem widmen zu können, als sich den ganzen lieben langen Tag damit beschäftigen zu müssen, überhaupt irgendwas auf den Tisch zu kriegen. Was "das gewöhnliche Volk" mit seiner so gewonnenen Freizeit anfängt, ist dann wieder eine andere Frage.

Dazu hat nicht nur die industrielle Landwirtschaft beigetragen.
Aber dass sie "nur" großen Schaden anrichtet und größtenteils Zerstörung und Krankheiten verursacht, das sollte man so nicht stehen lassen.
Ein grosser Teil der heutigen Zivilisationskrankheiten ist der schlichten Tatsache zu verdanken, dass die meisten Leute früher wegen Kriegen, wegen irgendwelchen Krankheiten, die heute kein Thema mehr sind (Diptherie, Tuberkulose, Kindbettfieber ... ), und eben auch wegen Mangelernährung, gar nicht so alt geworden sind, um daran krank zu werden.

Ich bin nicht blind gegenüber den Kollateralschäden der heutigen Industriegesellschaft. Aber generelle Rundumschläge nach dem Prinzip "ich beiss in die Hand, die mich füttert" helfen nicht weiter und sind genau so einseitig, wie wenn man Landwirtschaft nur nach dem kurzfristigen Rendite-Prinzip betreibt.

Ich bin der Meinung, dass vieles besser gehen könnte und dass Substanzen wie Glyphosat in der Lebensmittelproduktion die absolute Ausnahme bleiben sollten (damit wir wieder beim Thema sind). Als Konsument habe ich zudem das Recht, DInge, Lebensmittel oder Methoden auch dann abzulehnen, wenn "wissenschaftlich" aus Sicht der Produzenten nichts dagegen spricht, sie anzuwenden.
Nur ist das dann im Detail eben kompliziert - um nachhaltige und umweltverträgliche Landwirtschaft in einer Marktwirtschaft mit Gewerbefreiheit und Unternehmertum zu erreichen, müssen die Rahmenbedingungen anders sein als sie es heute sind. Glyphosat ist ein Symptom, nicht das eigentliche Problem.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

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Re: Glyphosat-Diskussion

#918

Beitrag von Herbstelfe » Do 29. Jun 2017, 06:29

Ist es nicht auch ein bisschen eine Frage, welchen Preis (z.B langfristige Folgeschäden an Ökosystemen) man bereit ist zu zahlen? In Zeiten einer Lebensmittelüberproduktion?
Keine Zeit für dumme Späße, ich hab zu tun mit Älterwerden.

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Re: Glyphosat-Diskussion

#919

Beitrag von kraut_ruebe » Do 29. Jun 2017, 06:55

ebenso wie die frage: was kann auch noch von der alleinerziehenden mutter mit drei kindern und hart am finanziellen limit bezahlt werden.
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Re: Glyphosat-Diskussion

#920

Beitrag von Rohana » Do 29. Jun 2017, 07:50

Herbstelfe hat geschrieben:Ist es nicht auch ein bisschen eine Frage, welchen Preis (z.B langfristige Folgeschäden an Ökosystemen) man bereit ist zu zahlen? In Zeiten einer Lebensmittelüberproduktion?
Die eigentliche Frage ist, wer ist "man". Denn die meisten Diskussionen hier gehen um das Geld (oder die Zeit, den Aufwand, you name it) anderer Leute. Komischerweise ist nämlich kaum einer, der ein Pestizid (Glyphosat)-Verbot fordert, mit der selben Vehemenz bereit, selbst auf (z.B.) ein Auto zu verzichten. 1 Million Unterschriften gegen Glyphosat? - kein Problem, sone Unterschrift kostet den Unterschreiber ja nix...
Ein jeder spinnt auf seine Weise, der eine laut, der andere leise... (Ringelnatz)

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