Geschichte "meiner" Siedlung
Verfasst: Sa 1. Jul 2017, 21:39
Moin,
hatte ja in einem anderen Faden versprochen, was über die Geschichte der Siedlung, in der ich lebe, zu erzählen. Hier kommts.
Seit 8 Jahren wohne ich ja wieder dort, wo ich auch aufgewachsen bin. Die ersten Lebensjahre hatten wir ein kleines Häuschen im Wald, wo vordem ausgebombte Großstädter gelebt hatten. Solche klitzekleinen Holzhäuschen (so 12 - 40 qm) gab es eine ganze Anzahl im Wald. Jedes sehr individuell gebaut, mit Giebeln, Veranden, Verzierungen oder - so wie unseres - im skandinavischen Stil recht einfach aber liebevoll, ochsenblutfarbene Bretter mit kleinen weißen Streifen abgesetzt. Wir waren sehr komfortös zu dritt auf 40 qm - andere Schulfreunde lebten zu 5 oder 7 Personen auf 20 qm Grundfläche & Schlaffläche im Dachboden und angebaute überdachte Sommerveranda. Eins der Häuser, wo meine beste Schulfreundin mit ihrem Bruder und ihren Eltern lebte, ist heute eine Einzel(!)garage!
Später bauten dann nicht nur meine Eltern mit Krediten des Landarbeiterwohnunungsbaus ein Haus in einer sog. Nebenerwerbssiedlung. Die Grundrisse waren alle gleich, Schweinestall und Plumpsklo eingeschlossen und 1.300 qm Land für die Selbstversorgung.
Seit einiger Zeit interessiert mich die Geschichte dieser beiden Siedlungen, der im Wald und der Nebenerwerbssiedlung. Es gestaltete sich etwas schwierig, darüber Material zu finden - außer natürlich in der eigenen Erinnerung und den beiden letzten noch lebenden ursprünglichen Siedlern. Mit meiner Nachbarin versuche ich so oft wie möglich zu sprechen, von ihr zu erfahren was sie anbaute und was sie kochte - es ist hochspannend! Sie hatte schon mit knapp 18 Jahren sowohl ihren Sohn (meinen besten Freund) als auch ihre Eltern und Schwiegereltern vom Grundstück und den geringen Einkünften, die die Väter damals in der Landwirtschaft hatten, zu versorgen. Hut ab, kann ich da nur sagen!
Für die Geschichte der Waldsiedlung, die Ende 19/Anfang 20 Jh von städtischen Facharbeitern gegründet wurde, bin ich natürlich zu jung. So langsam kriege ich aber Material zusammen und fühle mich so, als sei ich wirklich eine Nachfahrin der Gründer/innen: Genossenschaft, selbst organisiert, bio, naturnah usw. usw.
Die beiden einzigen Storys, an die ich mich noch entsinne, sind eher "Döntjes" ... Das Entsetzen der ortsansässigen Bauern über die FKK Kultur (natürlich in der Siedlung im Wald, die Nebenerwerbslandwirtssiedler waren alle insgesamt eher prüde) und den Schnack "Dat bruk wie nich, wie sünd evangelisch" als jemand etwas von Anthroposophie erzählen wollte -:))
Ich habe langsam schon einiges aus dieser frühen Zeit zusammentragen und sobald die Archivarin wieder gesund ist, werde ich auch mal im Archiv stöbern.
Aber lest selber... Ich krieg es irgendwie nicht als Dateianhang gespeichert, geschweige denn hochgeladen. Deshalb hier als Fließtext. Namen sind unkenntlich gemacht.
Das Projekt „Edenxx" kann unter dem Schlagwort „zurück zur Natur" erfasst werden. Im Gründungsprotokoll heißt es am 21. Juni 1913: „Die Schaffer-Siedlung 'Edenxx' wird zur eingetragenen Genossenschaft mit beschränkter Haftung erklärt. In den Aufsichtsrat wurden gewählt (xxxx). In der Satzung der Genossenschaft heißt es: „Gegenstand des Unternehmens ist ausschließlich: durch Errichtung ländlicher Siedlungen – möglichst im Wege der Rentengutsbildung – minderbemittelten Familien oder Personen gesunde und zweckmäßig eingerichtete, zum Betrieb von Obst- und Gartenbau sowie zur Geflügelzucht geeignete Heimstätten zu billigen Preisen zu verschaffen. Daneben können gemeinnützige Einrichtungen geschaffen werden, die allen Mitgliedern zugute kommen". Es wurde die Errichtung eines Erholungsheims und von Spielplätzen geplant. Standort für dieses Experiment eines „alternativen Lebensstils" sollte die Gemeinde (xxx) sein.
Der Schafferbund kaufte die Hofstelle eines aus Hannover zugezogenen Landwirtes und tauschte mit den anderen Bauern in der Weise Land, dass die Genossenschaft ein zusammenhängendes Gebiet westlich des Dorfzentrums und südlich der Holzkoppeln bekam, das bis an die Chaussee reichte. Der Ackerboden ist hier weniger wertvoll, und so waren die Bauern zu einem Tausch gern bereit. Das Land wurde koppelweise in der Genossenschaft aufgeteilt. xxx sagte dazu: „Wir haben den Bauernwald abgestreift und fanden ihn zum Erholungspark, mit Waldwohnhütten zu besetzen, ideal. Eine Waldwiese inmitten, über einen Morgen groß, als Spiel- und Sportplatz, ein Bach im Walde, zum Badeplatz auszuschachten geeignet. Die Hütten können von der Genossenschaft aus mit Parzellen von etwa 500 Quadratmetern errichtet und wochen- oder monatsweise verpachtet werden; ebenso können einzelne sich selbst solche Waldhütten als Eigentum bauen lassen und die Parzellen in Erbbaupacht nehmen. Kostenpunkt: Zwei Zimmer, drei mal drei Meter und Windfang, von 200 Mark an. Diese Hütten können so versteckt werden, dass Luft- und Sonnenbaden möglich ist". Die dem Mittelstand angehörenden Schaffer wollten Obst und Gemüse anbauen, die auf genossenschaftlicher Basis abtransportiert und verkauft werden sollten. Den nächsten Markt gab es in xx.
Eine Gruppe des Schafferbundes pflegte im Bereich der Holzkoppel die Freikörperkultur – ein Verhalten, das den Einheimischen sicherlich befremdlich und exotisch vorkam. Darüber hinaus organisierten die Schaffer den ersten Autobusverkehr. Sie kauften 1914 durch Anteilzeichnungen von je mindestens 100 Mark gemeinsam einen Omnibus und ließen ihn fünfmal am Tag verkehren.
hatte ja in einem anderen Faden versprochen, was über die Geschichte der Siedlung, in der ich lebe, zu erzählen. Hier kommts.
Seit 8 Jahren wohne ich ja wieder dort, wo ich auch aufgewachsen bin. Die ersten Lebensjahre hatten wir ein kleines Häuschen im Wald, wo vordem ausgebombte Großstädter gelebt hatten. Solche klitzekleinen Holzhäuschen (so 12 - 40 qm) gab es eine ganze Anzahl im Wald. Jedes sehr individuell gebaut, mit Giebeln, Veranden, Verzierungen oder - so wie unseres - im skandinavischen Stil recht einfach aber liebevoll, ochsenblutfarbene Bretter mit kleinen weißen Streifen abgesetzt. Wir waren sehr komfortös zu dritt auf 40 qm - andere Schulfreunde lebten zu 5 oder 7 Personen auf 20 qm Grundfläche & Schlaffläche im Dachboden und angebaute überdachte Sommerveranda. Eins der Häuser, wo meine beste Schulfreundin mit ihrem Bruder und ihren Eltern lebte, ist heute eine Einzel(!)garage!
Später bauten dann nicht nur meine Eltern mit Krediten des Landarbeiterwohnunungsbaus ein Haus in einer sog. Nebenerwerbssiedlung. Die Grundrisse waren alle gleich, Schweinestall und Plumpsklo eingeschlossen und 1.300 qm Land für die Selbstversorgung.
Seit einiger Zeit interessiert mich die Geschichte dieser beiden Siedlungen, der im Wald und der Nebenerwerbssiedlung. Es gestaltete sich etwas schwierig, darüber Material zu finden - außer natürlich in der eigenen Erinnerung und den beiden letzten noch lebenden ursprünglichen Siedlern. Mit meiner Nachbarin versuche ich so oft wie möglich zu sprechen, von ihr zu erfahren was sie anbaute und was sie kochte - es ist hochspannend! Sie hatte schon mit knapp 18 Jahren sowohl ihren Sohn (meinen besten Freund) als auch ihre Eltern und Schwiegereltern vom Grundstück und den geringen Einkünften, die die Väter damals in der Landwirtschaft hatten, zu versorgen. Hut ab, kann ich da nur sagen!
Für die Geschichte der Waldsiedlung, die Ende 19/Anfang 20 Jh von städtischen Facharbeitern gegründet wurde, bin ich natürlich zu jung. So langsam kriege ich aber Material zusammen und fühle mich so, als sei ich wirklich eine Nachfahrin der Gründer/innen: Genossenschaft, selbst organisiert, bio, naturnah usw. usw.
Die beiden einzigen Storys, an die ich mich noch entsinne, sind eher "Döntjes" ... Das Entsetzen der ortsansässigen Bauern über die FKK Kultur (natürlich in der Siedlung im Wald, die Nebenerwerbslandwirtssiedler waren alle insgesamt eher prüde) und den Schnack "Dat bruk wie nich, wie sünd evangelisch" als jemand etwas von Anthroposophie erzählen wollte -:))
Ich habe langsam schon einiges aus dieser frühen Zeit zusammentragen und sobald die Archivarin wieder gesund ist, werde ich auch mal im Archiv stöbern.
Aber lest selber... Ich krieg es irgendwie nicht als Dateianhang gespeichert, geschweige denn hochgeladen. Deshalb hier als Fließtext. Namen sind unkenntlich gemacht.
Das Projekt „Edenxx" kann unter dem Schlagwort „zurück zur Natur" erfasst werden. Im Gründungsprotokoll heißt es am 21. Juni 1913: „Die Schaffer-Siedlung 'Edenxx' wird zur eingetragenen Genossenschaft mit beschränkter Haftung erklärt. In den Aufsichtsrat wurden gewählt (xxxx). In der Satzung der Genossenschaft heißt es: „Gegenstand des Unternehmens ist ausschließlich: durch Errichtung ländlicher Siedlungen – möglichst im Wege der Rentengutsbildung – minderbemittelten Familien oder Personen gesunde und zweckmäßig eingerichtete, zum Betrieb von Obst- und Gartenbau sowie zur Geflügelzucht geeignete Heimstätten zu billigen Preisen zu verschaffen. Daneben können gemeinnützige Einrichtungen geschaffen werden, die allen Mitgliedern zugute kommen". Es wurde die Errichtung eines Erholungsheims und von Spielplätzen geplant. Standort für dieses Experiment eines „alternativen Lebensstils" sollte die Gemeinde (xxx) sein.
Der Schafferbund kaufte die Hofstelle eines aus Hannover zugezogenen Landwirtes und tauschte mit den anderen Bauern in der Weise Land, dass die Genossenschaft ein zusammenhängendes Gebiet westlich des Dorfzentrums und südlich der Holzkoppeln bekam, das bis an die Chaussee reichte. Der Ackerboden ist hier weniger wertvoll, und so waren die Bauern zu einem Tausch gern bereit. Das Land wurde koppelweise in der Genossenschaft aufgeteilt. xxx sagte dazu: „Wir haben den Bauernwald abgestreift und fanden ihn zum Erholungspark, mit Waldwohnhütten zu besetzen, ideal. Eine Waldwiese inmitten, über einen Morgen groß, als Spiel- und Sportplatz, ein Bach im Walde, zum Badeplatz auszuschachten geeignet. Die Hütten können von der Genossenschaft aus mit Parzellen von etwa 500 Quadratmetern errichtet und wochen- oder monatsweise verpachtet werden; ebenso können einzelne sich selbst solche Waldhütten als Eigentum bauen lassen und die Parzellen in Erbbaupacht nehmen. Kostenpunkt: Zwei Zimmer, drei mal drei Meter und Windfang, von 200 Mark an. Diese Hütten können so versteckt werden, dass Luft- und Sonnenbaden möglich ist". Die dem Mittelstand angehörenden Schaffer wollten Obst und Gemüse anbauen, die auf genossenschaftlicher Basis abtransportiert und verkauft werden sollten. Den nächsten Markt gab es in xx.
Eine Gruppe des Schafferbundes pflegte im Bereich der Holzkoppel die Freikörperkultur – ein Verhalten, das den Einheimischen sicherlich befremdlich und exotisch vorkam. Darüber hinaus organisierten die Schaffer den ersten Autobusverkehr. Sie kauften 1914 durch Anteilzeichnungen von je mindestens 100 Mark gemeinsam einen Omnibus und ließen ihn fünfmal am Tag verkehren.