Überlegungen zu Zusammenarbeit und Gemeinschaften zur SV

Was halt nirgendwo passt
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guzzmania
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Überlegungen zu Zusammenarbeit und Gemeinschaften zur SV

#1

Beitrag von guzzmania » Mi 19. Aug 2015, 22:52

Immer wieder gibte es Angebote zu diversen SV-Gemeinschaftsgründungen, Tauschs und Deals mit oder ohne Geld, etc.
Mag jemand mitdiskutieren, unter welchen Umständen solche Initiativen funktionieren können, unter welchen nicht, bzw. ob überhaupt?
Auch Verweise auf reale Beispiele (positive, negative, ambivalente,...) würden mich interessieren.

Ich mach einen Anfang: Mich persönlich hat das Thema beschäftigt, weil mal im Raum gestanden ist, dass ich eine 17ha Landwirtschaft auf technischem Stand der 50er Jahre erben könnte... Wunderschön, ein Naturparadies, aber für mich als beruflich eingespannte Städterin uninteressant zu bewirtschaften. Finanziell auch kaum tragfähig. Aber so viel "Potential"... - Hab lang alles mögliche hin- und herüberlegt, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Glücklicherweise hat das Schicksal dann den Kelch an mir vorübergehen lassen, es erbt eine andere. :lol:

Wenn sich wer wissenschaftlich fundiert mit dem Thema beschäftigen möchte, kann ich folgendes Buch wärmstens emfehlen:

Kanter, Rosabeth Moss (1972) Commitment and Community: communes and utopias in sociological perspective. Cambridge, Mass.: Harvard University Press.
https://books.google.at/books?id=HNkvPq ... &q&f=false
Klappentext: "What makes some communes work, while others fail? Why is it so difficult to put utopian ideals into practice? Rosabeth Kanter offers a unique analysis of the nature and process of enduring commitment, basing her theory of commitment mechanisms on exhaustive research of nineteenth–century utopias, sharpened by first–hand knowledge of a variety of contemporary groups. The book moves in a lively fashion from Oneida, Brook Farm, and the Shakers to present–day phenomena such as rural communes and Synanon."

Die Autorin destilliert da Erfolgsfaktoren raus, u.a. starke geteilte Ideologie, weite Entfernung von der kapitalistischen Umwelt, Mitglieder mit entsprechenden Fertigkeiten, usw. - Wenn ich Zeit hab, kann ich's mal genauer zusammenfassen.

lg
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FranzA.
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Re: Überlegungen zu Zusammenarbeit und Gemeinschaften zur SV

#2

Beitrag von FranzA. » Mi 19. Aug 2015, 23:50

Ich kann zu dem Thema keine nennenswerte, eigene Erfahrung beitragen, finde den Ansatz aber interessant.
Die schönste Theorie hilft zwar wenig ohne praktische Erfahrungen,aber immer nur nach der Trial and Error Methode vorzugehen kann auch zu vorzeitigen Ermüdungserscheinungen führen.
Wenn Du hier also eine Zusammenfassung des beschriebenen Buches einstellen würdest, wäre nett
zumal es mir bei meinen mageren Englischkenntnissen viel zu beschwerlich ist den Text im Original zu lesen.

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Thomas/V.
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Re: Überlegungen zu Zusammenarbeit und Gemeinschaften zur SV

#3

Beitrag von Thomas/V. » Do 20. Aug 2015, 07:05

Ich finde, man sollte tatsächlich erst mal "die Theorie" verstehen, ehe man sich in die Praxis stürzt.

Es gibt dazu auch ein Buch in Deutsch, habs aber selber nicht gelesen, da ich zur Zeit nicht die Absicht habe, einer Gemeinschaft bei zu treten.
http://www.eurotopiaversand.de/Buch-Pri ... ldung.html
Lassen sie mich durch, mein Bruder ist Arzt!

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guzzmania
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Re: Überlegungen zu Zusammenarbeit und Gemeinschaften zur SV

#4

Beitrag von guzzmania » Do 20. Aug 2015, 10:06

Danke für den Buchtipp!!

Ich versuch' dann mal eine Ultra-Kurz-Zusammenfassung von "Commitment and Community":

Rosabeth Moss-Kanter hat 30 utopische Gemeinschaften im 19. Jahrhundert in den USA studiert (mittels Studium der Quellen in diversen Archiven): Frühsozialisten und religiöse Gruppierungen. Ihnen allen war gemeinsam, dass sie Selbstversorgung betreiben wollten. Also die Theorie basiert auf wirklichen Fällen, allerdings zu einer anderen Zeit als heute. Das muss man bei den Ergebnissen mitbeachten.

Aber nun zu den "Erfolgsfaktoren": Der zentrale Erfolgsfaktor einer Gemeinschaft ist, dass sie es schafft, bei ihren Mitgliedern "Commitment" aufrecht zu erhalten: Die Leute wollen lieber bleiben als gehen, sei es aus Begeisterung, sei es aus mehr oder weniger Zwang.

Konkret identifiziert sie folgende Gruppen von Erfolgsfaktoren. Langlebige Gemeinschaften praktizierten niemals alle diese Dinge auf einmal, aber signifikant mehr davon als kurzlebige Gemeinschaften: (WARNUNG: Diese Mechanismen sind großteils nicht gerade von der netten Sorte.)
-) "Opfermechanismen": Die Gruppe praktiziert irgendeine Art von Enthaltsamkeit (z.B. Schweigen, sexuelle Enthaltsamkeit) und lebt sehr sparsam.
-) "Investitionsmechanismen":
-) Körperliche Anwesenheit: Man muss vor Ort wohnen.
-) Finanzielle Investition: Man übergibt bei Eintritt sein Vermögen der Gemeinschaft. Während der Mitgliedschaft erhält man die Dinge für den Privatgebrauch von der Gemeinschaft
-) Unwiderrufbarkeit des Investments: Über eingebrachtes Vermögen werden keine Aufzeichnungen gemacht. Aussteiger kriegen ihre Investion nicht zurückerstattet.
-) Aussteiger werden für eingebrachte Arbeitsleistung nicht entschädigt.
-) "Entsagungsmechanismen"
-) Isolation: Entlegene Gegend, "Rundum-Selbstversorgung" (einschließlich medizinische Versorgung), Auswärtsaufenthalte nur während bestimmter Zeiten,
Außenwelt wird als böse angesehen, Mitglieder tragen spezielle Kleidung, Mitglieder sprechen speziellen Gruppenjargon, Zeitungen aus der Außenwelt werden
nicht gelesen, staatliche Feiertage werden nicht gefeiert
-) Grenzkontrollen: Mitglieder verlassen selten die Gemeinschaft, es gibt spezielle Regeln für die Interaktion mit Besuchern
-) Einschränkung von Paarbeziehungen: "Freie Liebe" (alle-mit-allen) oder Zölibat, sexuelle Beziehungen unterliegen Kontrolle durch die Gruppe
-) Einschränkung von Familienbeziehungen: Eltern und Kinder werden getrennt, Familien wohnen nicht gemeinsam
-) "Kommunikationsmechanismen"
-) Homogene Mitglieder (Religion, sozioökonomischer Hintergrund, ethnizität, vorherige Bekanntschaft)
-) Gemeinsame Nutzungen: Gemeinschaftseigentum an Land, Gebäuden, Möbel und Ausrüstung, Kleindung und persönlichen Gebrauchsgegenstände
-) Gemeinsame Arbeit: Arbeit wird nicht entlohnt, Gemeinschaftsleistungen sind für Mitglieder kostenfrei, Beitritt ohne Qualifikationsvoraussetzungen, Job rotation,
gemeinsame Arbeitseinsätze
-) Regelmäßige Kontakte: Wenig Privatsphäre, Regelmäßige bis tägliche Gruppentreffen
-) Rituale: Eigene Lieder, gemeinsames Singen, gemeinsame Feste
-) Verfolgung: Missetäter werden ökonomisch oder physisch bestraft
-) Kasteiung:
-) Rituale von Beichte und gegenseitiger Kritik, gegenseitige Überwachung, Überwachung durch Führer
-) Sanktionen: Öffentliche Kritik von Abweichlern, Entuzug von Privilegien, Ausgrenzung von Gemeinschaftsaktivitäten, Sanktionierung eher durch Bestrafung innerhalb
der Gemeinschaft als durch Ausschluss
-) Spirituelle Abgrenzung: Mitglieder werden moralisch überhöht, Unterwerfung gegenüber moralisch Höhergestellten, keine Unterscheidungen auf Basis von Können
oder Intelligenz, Unterweisung in der Gemeinschaftslehre, Mitglieder müssen Regeln lernen, neue Mitglieder von alten Mitgliedern abgeteilt, Probezeit mit
eingeschränkten Rechten
-) Transzendenzmechanismen
-) Ideologie: Lehren über die Natur des Menschen, eigenes philosophisches System, Menschen mit übernatürlichen Kräften, Unterwerfung unter höhere Prinzipien,
Werte als offizielle Basis für Entscheidungen
-) Institutionalisierte Autorität: Führer sind Gründer oder persönliche Nachfolger des Gründers, keine Möglichkeit die Autorität in Frage zu stellen, Führung genießt
spezielle Privilegien
-) Anleitung: Tägliche Routinen, genaue Verhaltensregeln
-) Übernahme der Ideologie: Schwur leisten, Glaubensprobe für Kinder
-) Tradition: Gemeinschaft entstand aus einer schon zuvor bestehenden Gemeinschaft. Je länger diese schon bestand, desto höher die Überlebenschancen auch der
neuen Gemeinschaft.

Tja, also wenn das die Erfolgsgeheimnisse langlebiger Gemeinschaften sind, dann ist es denke ich kein Wunder, dass Gemeinschaftsprojekte heutzutage nicht gerade boomen.
:grinblum:

Aber wie gesagt, das war im 19. Jahrhundert. Teilweise wird es heute sicher anders sein.

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Re: Überlegungen zu Zusammenarbeit und Gemeinschaften zur SV

#5

Beitrag von guzzmania » Do 20. Aug 2015, 11:10

Wegen dem Buch "Gemeinschaftsbildung" von Scott Peck hab ich jetzt ein bisschen in den Tiefen meines Gedächnisses gekramt... Ich denke er nutzt einige der "Erfolgsgeheimnisse" von langlebigen Gemeinschaften, wie sie Moss-Kanter identifiziert, und die ich nicht so prall finde. Das hat schon was von einer esoterischen und totalitären Ideologie, wo das Individuum mehr oder weniger gebrainwashed wird.

"Zum Ende einer 2-tägigen Gemeinschaftserfahrung kündigte eine Dame mittleren Alters der Gruppe an: 'Ich weiß, dass Scotty sagte, wir sollten nicht aussteigen, aber als mein Mann und ich gestern Abend nach Hause kamen dachten wir genau daran. Ich schlief letzte Nacht nicht gut und wäre heute Morgen beinah nicht gekommen. Doch dann passierte etwas Seltsames. Gestern schaute ich euch alle durch 'harte Augen' an. Aber heute sind meine Augen auf eine Weise, die ich selbst nicht verstehe, weich geworden, und es fühlt sich so wundervoll an.'" Quelle: http://www.gemeinschaftsbildung.com/

- Wenn ich sowas schon lese.... :eeek:

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Re: Überlegungen zu Zusammenarbeit und Gemeinschaften zur SV

#6

Beitrag von osterheidi » Do 20. Aug 2015, 12:56

hallo guzzmania danke für die interessanten infos
Aber wie gesagt, das war im 19. Jahrhundert. Teilweise wird es heute sicher anders sein.
.......sorry ich hab noch nie zitiert hier drin....

wie kommst du auf 19.jhd.? das meiste trifft ja bis heute auf gewisse gemeinschaften zu. und im 20.jhd auf alle fälle auf so einige zum teil recht große gemeinschaften.

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Re: Überlegungen zu Zusammenarbeit und Gemeinschaften zur SV

#7

Beitrag von guzzmania » Do 20. Aug 2015, 16:32

Aus dem 19. Jahrhundert sind die Gemeinschaften, die Moss-Kanter beforscht hat, und aus denen sie obengenannte "Erfolgsfaktoren" abgeleitet hat.

Die Grundmechanismen werden heute noch die selben sein, denke ich mir. Und auch viele der konkreten Praktiken.

Lg
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Re: Überlegungen zu Zusammenarbeit und Gemeinschaften zur SV

#8

Beitrag von FranzA. » Fr 21. Aug 2015, 19:09

Ich denke schon, dass sich in Bezug auf Gemeinschaften seit dem 19.JH einiges gewandelt hat, die Gesellschaft und das Bewusstsein hat sich ja auch insgesamt verändert.
Bei einigen Gemeinschaften mögen auch die etwas absonderlich anmutenden Regeln noch gelten.
Manche halte ich auch unter Umständen für sinnvoll,wie z.B. gemeinsame Arbeit, gemeinsame Feste aber eventuell auch die Investitionsmechanismen.
ich glaube bei Der Kommune Niederkaufungen gibt es sowas.

Für mich wären wichtige Fragen bei der Gemeinschaftssuche,
welche gemeinsamen Ziele gibt es,
wie findet Kommunikation statt,
wie werden Entscheidungen getroffen
welche Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede gibt es bei den einzelnen Mitgliedern
gibt es Synergieeffekte
eigentlich müsste es eine ganze Menge soziologisches Material geben zu Gruppendynamischen Prozessen und Strukturen
Bei Selbstversorgergemeinschaften gibt es vielleicht auch ein paar spezielle Gesetzmässigkeiten
z.B: ein paar Leute sind ständig an einem Platz andere wandern mehr umher
ein Umstand der Spannungen mit sich bringen kann, aber auch neue Impulse
ist aber leider überhaupt nicht mein Gebiet, sodass ich nichts beitragen kann
und viel Erfahrungen in Gemeinschaften habe ich auch nicht.
solange man gemeinsam erfolgreich auf ein gemeinsames Ziel hinarbeitet ist wohl meist alles in Ordnung

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Waldläuferin
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Re: Überlegungen zu Zusammenarbeit und Gemeinschaften zur SV

#9

Beitrag von Waldläuferin » Sa 22. Aug 2015, 10:21

Interessante Zusammenfassung.
Bei Colonia Dignidad hat es ja auch lange gehalten...
Und veraltet ist das gar nicht:
"Ideologie" kann man ja auch übersetzen mit "Veganismus" oder jedem beliebigen anderen Kitt, der die Gemeinschaft zusammen hält.
Fertig ist besser als perfekt.

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guzzmania
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Re: Überlegungen zu Zusammenarbeit und Gemeinschaften zur SV

#10

Beitrag von guzzmania » Sa 22. Aug 2015, 14:05

"Ideologie" kann man ja auch übersetzen mit "Veganismus" oder jedem beliebigen anderen Kitt, der die Gemeinschaft zusammen hält.
Sehe ich auch so. Gewisse Grundfunktionen müssen erfüllt sein, damit es die Leute zusammenhält. Zur Erfüllung dieser gibt es verschiedene Möglichkeiten.
eigentlich müsste es eine ganze Menge soziologisches Material geben zu Gruppendynamischen Prozessen und Strukturen
Rasend viel gibts dazu nicht, so viel ich weiß. Zumindest nicht viel Fundiertes. Die sozialwissenschaftlichen Forschungsanstrengungen der letzten 100 Jahre haben sich eher auf die Frage konzentriert, wie man es schafft, dass sich Menschen "freiwillig" für gewinnorientierte Unternehmen ein Bein ausreißen. :grr: Für Literaturhinweise bin ich immer dankbar!

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