Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

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Rohana
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Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#91

Beitrag von Rohana » So 9. Jan 2022, 19:45

Wer meinst du, trägt dann die "Kosten" wenn "man" aus ideologischen Gründen die deutsche Landwirtschaft erstmal gescheit ruiniert hat? Vor allem frage ich mich was denn die immer strengeren Massnahmen noch bringen sollen, wenn seit 10 Jahren die Werte quasi konstant sind, trotz der Unterschiede in Tierhaltung und Düngungsniveau...

Ich weiss, es ist wohl für dich nicht vorstellbar, aber was aktuell so passiert machen mir Angst. Wir haben gestern einen Plausch mit dem Cousin gehalten, es ging drum dass wir eigentlich mal wieder Sau stechen müssen, die Gefriertruhe ist leer. Früher haben wir vom Cousin eine bekommen, aber die sind seit knapp einem Jahr viehlos - kleiner Familienbetrieb im Nebenerwerb mit Muttersauen und Mast, komplett alles in einer Hand incl Eber, so richtig schön wie man sich das vorstellt. Also jetzt nicht mehr, jetzt sind sie im roten Gebiet und haben gesagt man muss nicht für's Arbeiten noch Geld bezahlen, also wird nebenbei ein bisschen Ackerbau mit permanenter Unterdüngung gemacht und nach ihnen die Sintflut. Im Job gibts mehr Geld und Urlaub dazu.
Nächste Adresse für "a schene Sau zum stecha" wär "die Scheuerin" - Gott hab sie selig, die ist vor 3 Monaten ins Krankenhaus gekommen, alle Viecher weg weil alleinstehend, und ein paar Wochen drauf gestorben. Und dann gings weiter... der hier hört auf, der dort hört auf, wusstest du schon dass der Dings auch koa Sau mer hot? Wir hatten ja weitläufige Kontakte durch den Viehhandel. Es ist erschreckend wie viele Betriebe im letzten Jahr die Tierhaltung aufgeben, und grade die, die man ja eigentlich - angeblich - haben will. Im Kontrast dazu ein Kollege aus Hessen der grade einen Strohschweinestall gebaut hat nach Behörden-Spiessrutenlauf, der mal locker 600 Ferkel an einem Tag absetzen kann und jetzt Experimente mit Ringelschwänzen macht (die der Cousin übrigens hatte, kein grosses Thema, da muss die Fütterung stimmen...).

Tja, ich hoffe wir finden noch ne Sau zum stechen. Wird ja noch irgendwo welche geben, sonst importieren wir eine aus Hessen :bang:
Ein jeder spinnt auf seine Weise, der eine laut, der andere leise... (Ringelnatz)

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emil17
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Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#92

Beitrag von emil17 » So 9. Jan 2022, 20:34

Vielleicht die ganze Förderung so umbauen, dass die Kleinen eine Chance haben? Ohne Förderung geht es sowieso nicht.
Ich befürchte einfach, dass ohne die Vorschriften genau das Gleiche passieren würde. Die grossen fressen die Kleinen. Bürokratie trifft auch anteilmässig mehr die Kleinen, weil der Papieraufwand sich bei doppelter Menge nicht verdoppelt.
Für ein paar Schweine, früher zur Abfallverwertung normal, gelten wahrscheinlich auch die gleichen Vorschriften wie wenn man 700 Stück hat ...
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

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Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#93

Beitrag von Ferry » So 9. Jan 2022, 20:40

Ich hoffe immer noch auf den Verbraucher. Wenn der reelle Preise für gut gehaltene Tiere zahlen würde könnten auch die kleinen Betriebe wieder wirtschaften. Förderungen wird und kann es erst ab gewissen Größen geben.

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Rohana
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Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#94

Beitrag von Rohana » So 9. Jan 2022, 21:30

emil17 hat geschrieben:
So 9. Jan 2022, 20:34
Vielleicht die ganze Förderung so umbauen, dass die Kleinen eine Chance haben? Ohne Förderung geht es sowieso nicht.
Keine Förderung der Welt kann Stückkostendegression ausser Kraft setzen. Oder den simplen Umstand dass die Kleinen keine Lust haben, nach neuen Vorgaben Ställe zu bauen die über 20 oder mehr Jahre abzubezahlen sind, wo aber noch kein Geld verdient ist, oder noch schlimmer, sich von sogenannten "Förderungen" knebeln zu lassen.
Ich befürchte einfach, dass ohne die Vorschriften genau das Gleiche passieren würde.
Warum sollte es? Man sieht doch genau zu welchen Zeitpunkten, bzw in welchen Zeiträumen es die grossen Strukturbrüche gab und gibt.
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Ferry
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Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#95

Beitrag von Ferry » So 9. Jan 2022, 23:59

Manchmal denke ich wenn diese ganzen Agrarförderungen komplett weg wären, müßten die Kleinen doch bessere Chancen haben. Aber ich kann das einfach nicht "fertig" denken...

Benutzer 4754 gelöscht

Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#96

Beitrag von Benutzer 4754 gelöscht » Mo 10. Jan 2022, 00:35

Ferry hat geschrieben:
So 9. Jan 2022, 23:59
Manchmal denke ich wenn diese ganzen Agrarförderungen komplett weg wären, müßten die Kleinen doch bessere Chancen haben. Aber ich kann das einfach nicht "fertig" denken...
Das würde den kleinen zumindest eine Entscheidung abnehmen:
Betrieb schließen oder weiter machen.

Ferry
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Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#97

Beitrag von Ferry » Mo 10. Jan 2022, 01:25

Inwiefern?
Ich kenne keinen kleinen Betrieb der Förderungen erhält.
Im Gartenbau: erst ab 4 ha (oder entsprechenden Sonderkulturen)
Dieselförderung erst ab 4000l Verbrauch

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Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#98

Beitrag von penelope » Mo 10. Jan 2022, 08:59

Eine Stückkostendegression ist nicht so etwas wie ein Naturgesetz, was in Kraft ist, sondern eine Beschreibung für einen Effekt, den man in einem bestimmten Produktionsprozess beobachtet, oder eben auch nicht.

Das Paradebeispiel für eine sehr starke Stückkostendegression sind digitale Produkte. Der weitaus größte Teil der Kosten, um beispielsweise einen Film zu download anzubieten, fällt schon an, bevor man überhaupt einen einzelnen Konsumenten für sein Produkt hat. Ist er dann fertig, macht es kaum noch einen wesentlichen Unterschied, ob ihn nun 10 oder 10.000 Leute runterladen. Hier hat man eine sehr hohe Stückkostendegression.

Je physischer ein Produkt ist, desto weniger stark ist typischerweise die Stückkostendegression. Der typische Verlauf einer Stuckkostenkurve bei physischen Produkten nähert sich irgendwann der waagerechten, da eine Ausweitung der Produktion dann maßgeblich von dem Vorhandensein von den benötigten Rohstoffen abhängt und nicht mehr von einem Zuwachs beispielsweise an Entwicklungskosten.

Als typisches Beispiel, für Stückkostenkurven, die irgendwann auch wieder ansteigen, wird eben meist die Landwirtschaft genannt. Aus einer vorhandenen Fläche kann man irgendwann nur noch mit einem überproportionalen Einsatz an Energie und Arbeit noch mehr Ertrag rausholen und die Stückkosten steigen an. Bis zu einem gewissen Punkt können Sie natürlich zunächst fallen und werden das in vielen Fällen auch tun, aber nicht bis ins unendliche. Den jeweils günstigsten Punkt zu finden, ist eine individuelle Sache. Bigger is better ist kein Naturgesetz: kann sein - muss aber nicht

https://books.google.de/books?id=qY5dDw ... ft&f=false

Aber vielleicht ist das Stichwort "Stückkostendegression" auch mal eine gute Gelegenheit, um zum Titel des Themas "Sinn und Unsinn der Selbstversorgung" zurückzukommen. :mrgreen: Im kleinsten Maßstab und unter den häufig vorhandenen Ausgangsbedingungen (ich wohne irgendwo, wo ich ein paar Quadratmeter Garten zur Verfügung habe und ein paar alte Gartengeräte vom Opa finden sich noch im Schuppen) und wenn ich Spaß an der Tätigkeit habe und sie mehr als Ausgleich denn als Arbeit empfinde, habe ich sensationell geringe Stückkosten im Vergleich zur gewerblichen Produktion. Es wäre also, nach wirtschaftlicher Berechnung ;) , unsinnig, keine Selbstversorgung zu betreiben. :pft:

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Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#99

Beitrag von penelope » Mo 10. Jan 2022, 09:04

Ferrys Überlegungen finde ich nicht aus der Luft gegriffen. Ohne die ganzen Förderungen, Subventionen und Quersubventionen fällt ein Betrieb mit großer Biogasanlage eher auf die Nase als eine kleine Marktgärtnerei.

Benutzer 4754 gelöscht

Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#100

Beitrag von Benutzer 4754 gelöscht » Mo 10. Jan 2022, 09:19

penelope hat geschrieben:
Mo 10. Jan 2022, 08:59

Als typisches Beispiel, für Stückkostenkurven, die irgendwann auch wieder ansteigen, wird eben meist die Landwirtschaft genannt. Aus einer vorhandenen Fläche kann man irgendwann nur noch mit einem überproportionalen Einsatz an Energie und Arbeit noch mehr Ertrag rausholen und die Stückkosten steigen an. Bis zu einem gewissen Punkt können Sie natürlich zunächst fallen und werden das in vielen Fällen auch tun, aber nicht bis ins unendliche. Den jeweils günstigsten Punkt zu finden, ist eine individuelle Sache. Bigger is better ist kein Naturgesetz: kann sein - muss aber nicht

Aber vielleicht ist das Stichwort "Stückkostendegression" auch mal eine gute Gelegenheit, um zum Titel des Themas "Sinn und Unsinn der Selbstversorgung" zurückzukommen. :mrgreen: Im kleinsten Maßstab und unter den häufig vorhandenen Ausgangsbedingungen (ich wohne irgendwo, wo ich ein paar Quadratmeter Garten zur Verfügung habe und ein paar alte Gartengeräte vom Opa finden sich noch im Schuppen) und wenn ich Spaß an der Tätigkeit habe und sie mehr als Ausgleich denn als Arbeit empfinde, habe ich sensationell geringe Stückkosten im Vergleich zur gewerblichen Produktion. Es wäre also, nach wirtschaftlicher Berechnung ;) , unsinnig, keine Selbstversorgung zu betreiben. :pft:
Das blau markierte ist keine Stückkostendegression, sondern das Gesetzt des sinkenden Grenzertrages.
Zwei völlig verschiedene Paar Stiefel.

In deinem zweiten Beispiel schlägt die Stunde der Opportunitätskosten:
Du könntest den Garten auch verpachten, die Werkzeuge vermieten und während der Zeit arbeiten gehen und Geld verdienen.
Wenn du das nicht mit einbeziehst ist die vermeintliche Wirtschaftlichkeit lupenreiner Selbstbetrug.

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