Bitte trösten - ich rode! Ich verändere!

Forenschänke und Smalltalk
Nightshade
Beiträge: 1499
Registriert: Do 6. Jan 2011, 07:17

Bitte trösten - ich rode! Ich verändere!

#1

Beitrag von Nightshade » Di 6. Jun 2017, 08:29

Ich falle von einer Depri in die nächste.

Heute ist mein Papa sechs Monate tot.

Ich hab seinen Flieder umgeschnitten und dann bin ich tagelang weinend bei einer Freundin gesessen und es ging mir ganzheitlich schlecht. Die armen Freunde - in der Zeit vor Whatsapp konnten sie sich einteilen, wann sie angeweint werden.

Gestern fand ich lauter neue Triebe bei dem Fliederrest, schön von unten, wie ich es wollte. Er treibt! Er lebt! Juhu! Vielleicht wird er ja doch wieder schön! Nur - nie wieder lass ich ihn 7 Meter hoch werden. Ich habe umgehend jener Freundin Blumen gekauft.

Mein Vater hat das Fruchtgenußrecht leider genutzt, um seinen Kontrollzwang auszuleben. Der Teufel Alkohol...Ich durfte nichts mehr schneiden, und die Nachbarn beklagten sich seit Jahren über kranke und verwilderte Bäume und Sträucher.

Jetzt findet auf dem Baugrund in spe eine Naturkatastrophe statt. Mein Rücken ist lädiert, mein Knie streikt, meine Finger haben dauernd Blasen. (Kein Strom, kein Kanal. Wird alles erst eingeleitet. Ich arbeite mit der Handsäge, Schere, Sense.)

Überall sind Unkrautvliese. Es sieht GRÄSSLICH aus. Es ist HEISS, weil das ganze Grün weg ist. Alles ist KAHL. Notgedrungen kommt es zu Bestandseinbrüchen bei den Veilchen und Lerchenspornen. (Dass ich die Nelkenwurz und den Giersch reduziere, wage ich nicht zu hoffen.)
Es hilft nichts, dass ich den Trauerrosenkäfern von ihrem künftigen McDonals erzähle (Strauchpfingstrosen kriegt ihr!) und den geschockten Schmetterlingen von einer neuen Buddleja (Diese wird blühen, glaubt mir!) und den Vögeln von einem Sprudelstein (Soll ich ihn heizen? Wollt ihr ein Thermalbad?) und noch einem Kirschbaum. Den Spinnen von einem Minigebirge, dem Enzian von einer granitenen Ecke nur für ihn. Und den Hunden von einem Leben, wo sie jederzeit ins Freie können oder am Kachelofen rösten, ganz nach Wunsch.

Es nutzt nichts. Ich schlägere, es schaut kahl aus wie im November, überall Säcke mit Erde und Leichenteile diverser Pflanzen. Neuzugänge mit hängenden Köpfen, hübsch nur auf ihrem Etikett. Ich bin total deprimiert, habe Schmerzen und träume in der Nacht, dass mein Vater entstellt vom Krebs da drin in dem Sahaufen steht. (Die Psychologin verzichtete auf einen zweiten Termin, anscheinend war ich ihr zu viel Arbeit oder sie kann die vielen Taschentücher nicht von der Steuer absetzen.)

Der Gärtner mit der Profi-Kettensäge kommt und ein Pfu... ein hilfreicher, langjähriger Freund mit Migrationshintergrund und vielseitigen Kenntnissen wird Papas Gartenkleidung, Bücher, gehortetes Werkzeug (unbrauchbar) und gesetzeswidrige Karbolineumbestände in seinem Hänger wegschaffen. Ich geh derweil zum Weinen zu einer Freundin.

Schrecklich ist das... Wie geht man nur damit um, damit nicht dauernd die psychischen Einbrüche kommen?

Ich zeichne meine Ideen, und es sieht toll aus.
Ich fange an, sie umzusetzen, und es sieht schlimm aus.

Benutzer 72 gelöscht

Re: Bitte trösten - ich rode! Ich verändere!

#2

Beitrag von Benutzer 72 gelöscht » Di 6. Jun 2017, 10:00

ohhh, ich kann dir nur meine Schulter anbieten - so virtuell, damit du dich anlehnen kannst...
wird schon wieder. eine Trauerzeit ist normal, finde ich. Das gehört zum Leben dazu!

Die Tiere kommen wieder, mir ist es beim Reinigen unseres Teiches ein bisschen ähnlich ergangen.
Er ist wieder schön geworden und wieder viele Libellen und Frösche und Köcherfliegen - alles wieder gekommen!! :) :)

Dass die Pflanzen nicht immer halten, was das Ettikett verspricht - nu, so ist das eben.

Ich versuche gerade meine Lektion zu lernen, die Wassermelonen sind am Kümmern und viele haben die Schnecken ganz gekillt. Dafür wächst der Mais.

Jetzt muss ich nur (tja, tja "nur" ...) nur noch lernen, mich einfach über den Mais zu freuen.

Vom Lainzer Tiergarten (oder wohnst du ganz woanders??) kommen sicher wieder viele Tiere und Pflanzen zugewandert, wenn "dein Paradies" mal fertig ist.

Wir haben Lerchensporn mit den Schuhen (oder wie sonst??) ohne zu merken bis nach Niederösterreich getragen... Dort war vorher nie einer. :ohm:

viktualia

Re: Bitte trösten - ich rode! Ich verändere!

#3

Beitrag von viktualia » Di 6. Jun 2017, 10:16

Puh, das beste wär wohl eine Zeitmaschine, das zweitbeste könnte die "Wellenreiten-Technik" sein.
Ich drück dich und find dich tapfer.
Liebe Nightshade, es wär doch krank, wenn du die Ödniss schön finden würdest, insofern haben wir es mit einem durchaus berechtigten Zustand zu tun, der auch wieder rum geht; im Gegensatz zum Naturhasser, der will es immer so kahl haben und muss immer weiter roden.

Ich hab grad Urlaub und werd volle Möhre von meiner Trauer um den Tod eines lieben Freundes eingeholt (Anfang Februar) - ich dachte ich sei schon weiter und auf einmal hab ich meinen Urlaub gar nicht mehr für mich. Muss ich durch.
Wenn ne Trauerwelle kommt, oder eine Erschöpfungswelle, muss ich sie halt annehmen; das Gefühl, die ginge nie wieder weg speist sich eigentlich eher aus meinem Unwillen als aus den Tatsachen.
Geh ich da mit, ist sie schneller rum.

Hast du dir auch einen Blumenstrauss gekauft? Hoffentlich.
Ich hab mir extra duftende Pfingstrosen besorgt, der Duft lenkt mich ab und ich vergess das Schöne nicht so leicht.
Lach mich nicht aus, meiner Erfahrung nach hilft mir in so Situationen am besten, auf die Basics zu achten: genug Schlaf, genug Essen, plantschen.
Blumen für sich und alle Helfer, ruhig hin und wieder ne Rumpelstilzchen-Einlage (also sinnfreies motzen und Füssestampfen), aber blos nicht sich zu ernst nehmen. Kishons "Sie müssen nicht alles glauben was sie denken" ist da auch zielführend.

centauri

Re: Bitte trösten - ich rode! Ich verändere!

#4

Beitrag von centauri » Di 6. Jun 2017, 10:26

Veränderung gehört eben zum Leben dazu.
Und das du jetzt den Garten nach dem Tod deines Vaters veränderst ist doch auch in Ordnung.
Muss ja nicht so bleiben wenn du das nicht möchtest.
Wenn alle Generationen so gedacht hätten nichts zu verändern, würden wir noch auf einem Baum wohnen.
Mein Vater hat ja auch eine eigene Vorstellung wie er sein Umfeld gestaltet. Kann er ja auch so machen.
Das heißt aber nicht das ich das so weiterführen möchte oder muss.
Trauer ist schon was schlimmes!
Das heißt aber nicht das man nicht mehr pragmatisch denken darf. ;)
Und Natur kehrt schneller zurück wie man Unkraut jäten kann.

Benutzeravatar
osterheidi
Förderer 2019
Förderer 2019
Beiträge: 1552
Registriert: Mo 21. Okt 2013, 20:32
Familienstand: rothaarig
Wohnort: endmoräne, obendrauf, klimazone 6b, höhe 600

Re: Bitte trösten - ich rode! Ich verändere!

#5

Beitrag von osterheidi » Di 6. Jun 2017, 12:13

komische psychologin...oder wolltest du nicht mehr hin? vielleicht ist es noch zu früh für aufarbeitung ?
schreib nur , wir lesen alles geduldig und begleiten dich wenn es dir hilft.
bei mir läuft ähnliches was man aussenstehenden gar nicht erklären kann.
ich wünsche dir den nötigen ausgleich irgendwo , denn sowas dauert einfach.
die natur kann übrigens nicht sterben, sie macht einfach weiter :knudddel:

Lehrling
Sponsor 2016
Sponsor 2016
Beiträge: 1759
Registriert: So 3. Jul 2011, 18:04

Re: Bitte trösten - ich rode! Ich verändere!

#6

Beitrag von Lehrling » Di 6. Jun 2017, 13:07

Trauer ist völlig richtig und normal ( wenn du magst fühl dich umarmt und gehalten), ich rechne als Durchschnittsdauer ein Jahr, bis sie nachläßt und das Leben wieder alltäglicher verläuft. Es braucht ja erst mal eine Zeit ( Beerdigung, Papierkram usw.) bis man überhaupt Zeit zum Traurigsein hat.
Wenn jetzt aus >seinem< Garten >dein< Garten wird, kommen ganz viele Erinnerungen hoch, die kannst du sortieren und die guten nochmal besonders intensiv fühlen. Und wenn du deine Gedanken aufschreibst als Brief , alles was du ihm noch sagen wolltest, und dann,wenn du den Garten als >deinen< Garten fast fertig hast, dann verbrenn diesen Brief und streu die Asche in diesen Garten, damit aus all diesen Gedanken Dünger wird für neue Fruchtbarkeit.
Ich bin sicher, dein Vater sieht dir mit Wohlwollen zu.
Solche Träume hatte ich auch im ersten Jahr nach seinem Tod, zuerst war ich total perplex und dann hab ich ihm im Traum gesagt: du bist tot, du bist nicht mehr hier, du bestimmst das jetzt nicht mehr. Da hab ich mich besser gefühlt und es war Ruhe.

liebe Grüße
Lehrling
Ist die Heilung von PatientInnen ein nachhaltiges Geschäftsmodell?
...Frage über erfolgreiche Medikamente und daß dadurch weniger PatientInnen zu behandeln sind...

strega
Förderer 2017
Förderer 2017
Beiträge: 2214
Registriert: Do 22. Mai 2014, 20:59
Familienstand: rothaarig
Wohnort: in der teutonischen Zivilisation, aber fast nie dort....

Re: Bitte trösten - ich rode! Ich verändere!

#7

Beitrag von strega » Di 6. Jun 2017, 13:41

Die Trauer ist gut.... lass ihr ihren Lauf, sie ist irgendwann durch und verwandelt. Probleme macht sie nur wenn wir sie nicht haben wollen.

Ein Freund sagte mir, als mein Vater gestorben ist, in diesen Februar, sinngemäss:" Bis jetzt hat er vieles bestimmt in deinem Leben, früher, das jetzt noch nachwirkt bei dir. Aber jetzt ist die Zeit da, deine eigene Macht und Kraft zu begreifen und zu ergreifen."
Glaub da ist viel Wahres dran.
Frauen, die sich gut benehmen, schreiben selten Geschichte. Eleanor Roosevelt

Benutzeravatar
Minze
Förderer 2019
Förderer 2019
Beiträge: 2134
Registriert: Mi 4. Aug 2010, 14:29
Familienstand: glücklich verheiratet
Wohnort: Ostprignitz-Ruppin

Re: Bitte trösten - ich rode! Ich verändere!

#8

Beitrag von Minze » Di 6. Jun 2017, 13:58

Nightshade hat geschrieben:Ich zeichne meine Ideen, und es sieht toll aus.
Ich fange an, sie umzusetzen, und es sieht schlimm aus.
Geduld ist der Schlüssel zur Freude. Mach langsam und ganz in Ruhe und lass den Dingen Zeit zu wachsen und zu werden. Manche Idee wird sich in eine andere wandeln und Du wirst es dann gut finden, daß Du nicht alles sofort umgesetzt hast, weil die neue Idee viel besser ist.

Zu den (Un)kräutern: Man soll mit der Natur nicht streiten, sagte mir eine liebe Freundin mal. Und sie hat recht.

Ein Beispiel: Ich habe versucht, ein schönes, girschfreies Staudenbeet anzulegen. Zweimal sämtlich Stauden aufgenommen, die Erde gesiebt und alle Wurzeln rausgepult. Nach zwei Jahren immer das gleich Bild, er war wieder da. Nun sind einige Stauden verschwunden, viele aber sind geblieben und haben sich vermehrt. Das Beet ist im Frühling schön grün :lol: , und es ist ein prima Aufzuchtgarten für die Küken. Die Stauden nehmen es gelassen, den Girsch und die scharrende Glucke nebst Küken auch.

Viel Erfolg für Dich!
Liebe Grüße
Minze

Benutzeravatar
Rohana
Förderer 2018
Förderer 2018
Beiträge: 5346
Registriert: Mo 3. Feb 2014, 21:31
Familienstand: verheiratet
Wohnort: Oberpfalz

Re: Bitte trösten - ich rode! Ich verändere!

#9

Beitrag von Rohana » Di 6. Jun 2017, 19:20

Veränderung kann durchaus schmerzhaft sein, aber was hilfts, wenn die alte Hülle zu klein geworden ist?
Deine Trauer braucht Zeit, der Garten braucht Zeit. Die Schmetterlinge werden schon noch kommen!
Ein jeder spinnt auf seine Weise, der eine laut, der andere leise... (Ringelnatz)

Benutzeravatar
kraut_ruebe
Förderer 2019
Förderer 2019
Beiträge: 10733
Registriert: Di 3. Aug 2010, 09:48
Wohnort: Klimazone 7b - pannonisches Klima

Re: Bitte trösten - ich rode! Ich verändere!

#10

Beitrag von kraut_ruebe » Mi 7. Jun 2017, 07:39

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.


hermann hesse hat viel tröstendes, besonders 'stufen' mag ich gerne. ich wünsch dir ein paar worte aus der literatur deiner wahl, an denen du dich festhalten kannst, wenn die wogen des derzeitigen alltages und des umbruches zu heftig sind.

jedes neue blatt am flieder und an der anderen neugestaltung möge dir bestätigen, dass dein weg der für dich richtige ist :gkusch:
There's a crack in everything. That's how the light gets in.

Antworten

Zurück zu „Zur lustigen Wildsau“