Nitrat im Trinkwasser - wo liegen die Ursachen?

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emil17
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Re: Nitrat im Trinkwasser - wo liegen die Ursachen?

#81

Beitrag von emil17 » Mi 22. Feb 2017, 00:11

Das einzig aufschlussreiche ist die Grafik mit den Nitratwerten nach Messstellen. Da haben sie Kreise oder Ellipsen gemalt um die Gebiete, wo mehr als 50% der Messstellen zu hoch sind. Wenn man aber genau hinguckt, ist in Niedersachsen und Schleswig-Holstein recht viel rot ausserhalb dieser Kreise.

Warum es unmittelbar ausserhalb der Kreise rote Punkte gibt, ist mir methodisch nicht klar: Die müssten doch IN die Fläche gehören, denn diese wird ja durch einen Mindestanteil an roten Punkten definiert.
Vermutlich rechnet die Software für diese Darstellung nur Ellipsen. Das wäre dann aber ganz unsinnig, weil doch jeder weiss, dass die Grundwasserströme durch die Topographie, also durch das Gelände, und durch die Art des Untergrundes bestimmt werden.

Die gewählte Darstellung ist ein typischer Fall einer Statistik, wie sie nicht sein soll: sie suggeriert, dass es ausserhalb der Kreise keine Probleme gibt. Würde man statt dem willkürlichen 50%-Schwellenwert den genauso willkürlichen 33% Wert nehmen, wäre fast halb Deutschland Problemzone.

Da Nitrat eng in den biologischen Stickstoffkreislauf eingebunden ist, der über die Lebewesen selbst mit dem Kohlenstoffkreislauf gekoppelt ist, spielt einzig und allein die Bilanz Eintrag - Austrag eine Rolle. Ob das Nitrat durch biologische Aktivität (Denitrifikation), durch Aufnahme durch die Pflanzen oder durch Auswaschung aus der Bilanz entfernt wird, spielt für die dargestellten Grössen keine Rolle. Ebenso ist es egal, ob der Eintrag durch Düngung mit Kunstdünger, mit Hofdünger, mit Biomasse oder durch Enteisungsmittel von Flughäfen erfolgt.
Folglich ist es sinnfrei, Nitratgehalte von Hofdünger und von Biomasse getrennt zu behandeln.

Bei den Nitratgehalten im Grundwasser (dargestellt sind Konzentrationen, keine Mengen pro Fläche!) spielt es zudem eine entscheidende Rolle, wie rasch dieses Wasser ausgetauscht wird. Über rasch fliessendem Grundwasserspiegel kann der Eintrag hoch sein und man misst trotzdem wenig (Oberrheinische Tiefebene?), während geringe Einträge pro Fläche und Zeit sich über langsam fliessenden Grundwasservorräten akkumulieren können.
Um einen Vergleich mit der Betriebswirtschaft zu machen: Es interessiert die Bilanz. Mit dem durchschnittlichen Bargeldbestand in der Kasse kommt man nicht drauf. Ebenso sagt die durchschnittliche Nitratkonzentration nichts über die Stoffumsätze aus. Sie ist bloss ein Indikator für die Eignung als Trinkwasser.

Das Problem der Weinbergsböden ist bekannt: die Böden sind karg, humusarm und können deshalb den Stickstoff nicht festhalten. Eine Humusanreicherung ist bei dieser Art Kultur kaum möglich, sicher nicht wenn der Boden unter den Reben kahl gehalten wird. Sehr oft kleine Mengen Dünger geben ist unpraktikabel, also hat man hohe Auswaschungsraten.

Ansonsten ist die Darstellung überlagert mit vermuteten Problemquellen in dieser Form noch aus einem anderen Grund unzulässig oder irreführend. Wenn es in Weinbaugegenden wegen dem Weinbau Probleme gibt UND es auch in zahlreichen Gebieten ohne Weinbau Problem gibt, die dort dann andere Ursache haben, erweckt die Grafik den Anschein, als hätten Weinbau und Nitrat im Grundwasser gar nichts miteinander zu tun.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

Manfred

Re: Nitrat im Trinkwasser - wo liegen die Ursachen?

#82

Beitrag von Manfred » Mi 22. Feb 2017, 00:29

Genau darum geht es.
Wir müssen weg von der idiotischen Pauschale "die Intensivtierhaltung ist schuld und durch strengere Auflagen für Wirtschaftsdünger flächendeckend für das ganze Land wird alles gut" hin zu einer Betrachtung all der komplexen Einflussfaktoren für jeden einzelnen betroffenen Brunnen.

In einem Weinberg, der seit den 50er Jahren, als der letzte Mist mit dem Huckelkorb dort hochgetragen wurde, keinen Wirtschaftsdünger aus Tierhaltung mehr gesehen hat, auf einem Gemüseacker, der ausschließlich mineralisch gedüngt wird, in einem kargen Kiefernwald auf Fichtenboden mit hohen Stickstoffeinträgen durch die anliegende Autobahn etc. etc. erreicht man nicht das geringste durch die Gängelung weit entfernter Tierhalter.
Wirtschaftsdüngerauflagen machen nur dort Sinn, wo sie auch wirklich die Ursache der örtlichen Probleme beheben.
Auf anderen Flächen wäre es ein Segen, wenn dort mehr Tiere angesiedelt wurden, um die Nährstoffkreisläufe zu verbessern und wieder Humus aufzubauen.

Und wenn sich herausstellt, dass die Einträge gering sind, sich aber über lange Zeit im stehenden Grundwasser akkumulieren, ist es evtl. auch mal sinnvoll, einen Brunnen zu verlegen oder eine Reinigung zu installieren.

Das alles lässt aber die Frage offen, was am Nitrat überhaupt so gefährlich sein soll.
Die in den 80er Jahren ausgesprochene Vermutung, das Nitrat sei evtl. krebserregend, ist ja inzwischen widerlegt.
Falls jemand wissenschaftliche Belege dafür findet, dass Nitrat in diesen Dosen überhaupt gefährlich ist, würde ich mich über einen entsprechenden Hinweis freuen.
In mir wird nämlich der Verdacht immer stärker, dass das eine Hexenjagd weitgehend für die Katz ist.

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krabbe
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Re: Nitrat im Trinkwasser - wo liegen die Ursachen?

#83

Beitrag von krabbe » Fr 24. Feb 2017, 20:02

Wie leider oft, ist das ein bisschen komplexer. Schau mal im Netzt mit drei Stichworten : Nitrat, Nitrit und Nitrosamine.

Nitrate an sich sind wirklich kein Problem. Sie werden allerdings durch bestimmte Bakterien in Nitrit umgewandelt. Das kann im Boden, in der Pflanze in zubereiteten Nahrungsmitteln oder aber auch im Menschen passieren. Nitrit selbst ist schon giftig, vor allem für Babys und Kleinkinder. Dazu ist Nitrit wiederum ist die Ausganssubstanz für Nitrosamine. Die wiederum sind krebserregend.

Nitrat wird vom Menschen hauptsächlich über pflanzliche Lebensmittel und über das Trinkwasser aufgenommen. Also machen hier Beschränkungen auf jeden Fall Sinn.

Das man dem Problem Nitrat nicht mit Giesskannenmethoden annähern kann ist schon klar. Aber was passiert, wenn lokal Beschränkungen vorliegen? Dann beschweren sich die entsprechend Benachteiligten. Sie dürfen ja nicht das gleiche machen wie anderswo.
lg Andrea

Manfred

Re: Nitrat im Trinkwasser - wo liegen die Ursachen?

#84

Beitrag von Manfred » Fr 24. Feb 2017, 20:21

Mit der Methämoglobinbildung durch Eiweiß-Abbauprodukte habe ich mich kürzlich hier beschäftigt, aus anderem Anlass:
http://www.landtreff.de/post1482448.html

Zum Methämoglobin-Problem bei Babys habe ich allerdings noch keine genaueren Angaben gefunden. Nur dass irgendein Enzym fehlt, dass beim Abbau hilft.
Falls jemand Infos dazu findet, welche Mengen von Nitrat/Nitrit erforderlich sind, um ein Baby ernsthaft zu gefährden, würde ich mich über einen entsprechenden Hinweis freuen.
Außerdem interessiert mich, wie Babys Methämoglobin verarbeiten. Irgendwie müssen sie es ja wieder los werden, uns sei es durch kompletten Abbau und Hämoglobin-Neubildung.

Manfred

Re: Nitrat im Trinkwasser - wo liegen die Ursachen?

#85

Beitrag von Manfred » Fr 24. Feb 2017, 20:35

https://www.umweltbundesamt.de/sites/de ... wasser.pdf

Eine Bekanntmachung des Bundesgesundheitsamtes vom 1986.
Da drin steht, dass der Grenzwert für Nitrat im Trinkwasser vorsorglich von 90 mg auf 50 mg abgesenkt wird, um das mögliche aber nicht gesicherte Risiko der Bildung kanzerogener Nitrosamine zu mindern.

Bezüglich der Säuglingsblausucht (das Methämoglobinprolem) sein die 90mg völlig ausreichend gewesen. Es sei innerhalb der letzten 20 Jahre in der Bundesrepublik kein einziger Fall von Säuglingsblausucht aufgrund von Nitrat im Trinkwasser beschrieben worden.

Das Säuglings-Problem können wir also zumindest unterhalb von 90 mg/l getrost vergessen. Reine Panikmache.
Interessant wäre trotzdem zu wissen, ab welchen Werten es für Babys gefährlich werden könnte.

Bleibt die Frage nach den Nitrosaminen.

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Re: Nitrat im Trinkwasser - wo liegen die Ursachen?

#86

Beitrag von krabbe » Fr 24. Feb 2017, 20:41

Diese Richtwerte gehen nur von Nitraten selber aus. Gleichzeitig können und sind aber auch Nitrite uns Nitrosamine vorhanden. Deshalb wurden die Werte sicherheitshalber höher gesetzt. Das ist zu mindestens meine Information.
lg Andrea

Manfred

Re: Nitrat im Trinkwasser - wo liegen die Ursachen?

#87

Beitrag von Manfred » Fr 24. Feb 2017, 22:06

Kannst du bitte die Quellen mit angeben? Ich möchte in der Sache weiter recherchieren.
Hier habe ich einen weiteren Hinweis gefunden. (Beginn unten links)
Leider ist nicht klar, welcher Messwert genau gemeint ist.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articl ... -0083b.pdf

"50 parts nitrate nitrogen per million" könnte sich nur auf den enthaltenen Stickstoff oder das ganze Nitrat beziehen.
Das wären massiv unterschiedliche angaben.
Und 50ppm Nitrat alleine können außer im Falle irgendeiner Überempfindlichkeit nicht die Ursache sein.
Bei 50 ppm N könnte der Wert schon deutlich höher sein.
Interessant ist auch die schnelle Erholung des Babies. D.h. es muss einen Abbaumechanismus für Methämoglobin auch bei Babies geben.

Oder es war kein Nitrat, sondern zum guten Teil Nitrit. z.B. durch bakterielle Verseuchung des Brunnens (dazu würde auch die Krankheit der Mutter passen) oder durch eine verzinkte Wasserleitung / Brunnenpumpe.

Hier http://www.inform24.de/nitro.html steht:
"In neu verlegten verzinkten Trinkwasserleitungen wird vorhandenes Nitrat durch das Zink in Nitrit reduziert. Dabei kann es zu einer bis zu 100fachen Überschreitung des Grenzwertes für Nitrit kommen."

Das würde auch in die Zeit passen, in der anscheinend wegen Blausuchtfällen bei Säuglingen Nitratgrenzwerte festgelegt wurden. Damals wurden viel verzinkte Wasserleitungen verbaut. Und die Leute verdienten genug, dass sich Junge Paare neue Häuser bauen konnten.
Könnte also gut sein, dass der Auslöser eigentlich eine Nitritaufnahme war und nicht das Nitrat selbst.

Evtl. lassen sich ja noch vernünftige Informationen finden.
Saubere Versucht und Zahlen konnte ich bisher nirgends entdecken. Alles nur Hörensagen, wo voneinander abgeschrieben wurde.

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Re: Nitrat im Trinkwasser - wo liegen die Ursachen?

#88

Beitrag von emil17 » Fr 24. Feb 2017, 23:10

Manfred hat geschrieben: Leider ist nicht klar, welcher Messwert genau gemeint ist.
"50 parts nitrate nitrogen per million" könnte sich nur auf den enthaltenen Stickstoff oder das ganze Nitrat beziehen.
Es steht ja da: "nitrate nitrogen" Nitrat = NO3-, nitrogen: N. Also Nitratstickstoff = Stickstoff in Nitratform.
50ppm Nitrat alleine können außer im Falle irgendeiner Überempfindlichkeit nicht die Ursache sein.
Bei 50 ppm N könnte der Wert schon deutlich höher sein.
Das stimmt so nicht. Du hättest recht, wenn die Angabe in Gewichtsanteilen wäre, denn N macht nur 2/7 des Gewichts im Nitrat aus. Bei der Angabe in ppm (parts per million, also Teilchenzahlen, gemessen in mikromol pro mol, nicht Gewichtsanteile) spielt es keine Rolle, weil 50 ppm NO3- gleich 50 ppm N sind, da ein Nitrat-Ion genau ein N-Atom enthält.


In Wasser sind 50 ppm NO3- gleichviel wie 50 mikromol pro mol, also 50 * 0.000001 * 63 g/mol / (18g/mol) = 0.175g/kg = 175 mg Nitrat pro Liter Wasser (Nitrat = 63g/mol, Wasser: 18g/mol)
Wenn der Grenzwert für Trinkwasser 50 mg Nitrat pro Liter beträgt, wäre das eine Überschreitung des Grenzwertes um das dreieinhalbfache. Keine Bagatelle.


Der Trick mit dem Verwurschteln von Anteilen (ppm) und Gewichtsanteilen (mg/kg, g/liter usw.) wird gern in der CO2-Diskussion verwendet: Da reden die einen von 44 Mio. t CO2, die anderen von 12 Mio t fossilem C. Beidesmal ist es das selbe, aber die Menge ist plötzlich wesentlich geringer geworden.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

Manfred

Re: Nitrat im Trinkwasser - wo liegen die Ursachen?

#89

Beitrag von Manfred » Fr 24. Feb 2017, 23:23

Woraus schließt du, dass die Teilchenzahl gemeint ist?
ppm wird für alle möglichen Formen der Konzentrationsangabe verwendet. Auch für Volumen, Masse, etc.
Ich bin von Masse ausgegangen.
Ist unter Medizinern die Teilchenzahl üblich? Die haben doch gerne direkt messbare Größen.

Benutzer 3991 gelöscht

Re: Nitrat im Trinkwasser - wo liegen die Ursachen?

#90

Beitrag von Benutzer 3991 gelöscht » Fr 24. Feb 2017, 23:48

emil17 hat geschrieben:Da reden die einen von 44 Mio. t CO2, die anderen von 12 Mio t fossilem C. Beidesmal ist es das selbe, aber die Menge ist plötzlich wesentlich geringer geworden.
Hier gabs im TV mal eine Themenwoche zum Klimawandel, eine Hotline wurde eingerichtet, wo man fragen konnte. Ich wollte wissen, wie man denn die vielen Tonnen wiegt, und wo das Gewicht herkommt? Das wussten sie auch nicht gleich, haben aber sogar zurückgerufen. Ein Kohlenstoffatom wiegt soundsoviel, und da kommen dann zwei Sauerstoffatome dazu, wo auch jedes soundsoviel wiegt. Und das wird dann hochgerechnet. War eine lustige Konversation.

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