Manfred hat geschrieben: ↑Do 14. Okt 2021, 10:12
Ich habe Luhmann nicht selbst gelesen. Wenn ich ihn im Groben richtig verstehe, versucht er Parsons auf abgegrenzte Einheiten (klassisch der relativ isolierte Indianerstamm im Urwald) auf größere, komplexere Gesellschaften auszuweiten.
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Wir haben gekapselte Organisationen innerhalb der Gesellschaft, die sehr stark auf Selbsterhalt bzw. Selbstzweck bedacht sind, wie die Naturschutzorganisationen oder die Bauernverbände.
Der Vegleich ist unzulässig, weil der Indianerstamm in der Praxis tatsächlich ohne Kontakt zu anderen Stämmen existieren könnte. Ein Austausch von Gütern oder Informationen von Gruppen, die jede ohne die anderen existieren kann, ist etwas grundsätzlich anderes als die Interaktion einer politische Partei oder einer Interessenvertretung mit dem Rest der Gesellschaft.
Die "gekapselten Organisationen" sind nämlich darauf angewiesen, dass ihnen die produktive Gesellschaft Mittel zur Verfügung stellt, indem sie behaupten, sie würden als Gegenleistung die Interessen der produktiven Gesellschaft oder Teilen von ihr viel besser wahrnehmen und durchsetzen als diese es können.
Selbsterhalt durch Abkapslung findet statt, sobald Aussenstehende ins Innere vordringen wollen, weil dann der Kuchen an mehr Leute verteilt werden muss. Selbsterhalt durch Isolation funktioniert nicht, weil dann kein Kuchen mehr da ist.
Folglich sind die Schlussfolgerungen aus dem Vergleich unzutreffend.
Dann wäre da noch folgendes: eine arbeitsteilige Gesellschaft, die so gross ist, dass unmöglich alle sich noch persönlich kennen können, funktioniert nur, wenn es Interessenvertretungen und Meinungsbildungsprozesse gibt. Dazu gehören neben einer freien und unabhängigen Presse auch politische Parteien, Vereine und eben auch Interessenvertretungen. Starke Vereine sind in den Verfassungen freiheitlich-demokratischer Staaten explizit gewollt, und es steht jedem Bürger frei, seine Ziele gemeinsam mit Gleichgesinnten zusammen zu verfolgen und dafür weitere Leute zu gewinnen, wenn er das will.
Bedenklich wird es erst, wenn Interessen so stark werden, dass die Exekutiv- und Judikativgewalt des Staates zur Bedienung ihrer Partikularinteressen missbraucht wird. Das Endstadium ist dann eine Kleptokratie, oder eine religiös-fundamentalistische Gesellschaft, wo der Klerus Staatsgewalt hat und sich von der Gesellschaft aushalten lässt.
Ein Gegenmittel ist, und das Gesetz sieht das auch vor, dass Interessen, Beteiligungen und Finanzierungen von Parteien und gemeinnützigen Organisationen offengelegt werden müssen, und dass jedes Presseerzeugnis ein Impressum haben muss. Ferner kann niemand gezwungen werden, einem bestimmten Verein oder Partei beizutreten oder nicht beizutreten oder eine bestimmte Presse zu konsumieren.
Des weiteren ist vorgesehen und ploitisch gewollt, dass gewisse Ziele, die im Interesse der Gesellschaft sind und eigentlich vom Staat bedient werden müssten, von Vereinen verfolgt werden, die dafür vom Staat unterstützt werden und die im Gegenzug dafür Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegen müssen. Neben Naturschutzvereinen sind da auch die Kirche, die Heilsarmee, der technische Überwachungsverein, die Akademien der Wissenschaften, die Berufsinnungen, die freiwilligen Feuerwehren und sehr viel anderes mehr zu nennen.
In der Verfolgung ihrer Ziele sind nicht alle Organisationen gleich erfolgreich. Es ist auch logisch, dass der national tätige Bauernverband oder Naturschutzbund mit sehr vielen Mitgliedern politisch mehr Einfluss hat als der Karnickelzüchterverein Hinterdupfing.
Einfluss gewinnt man am ehesten durch viele Mitglieder. Die wiederum gewinnt man am einfachsten, indem man klare Ziele verfolgt, seine Finanzierung und Interessen transparent macht und vor allem indem man Ziele hat, die von sehr vielen Leuten geteilt werden.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.