Ukara

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emil17
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Ukara

#1

Beitrag von emil17 » Fr 13. Jan 2017, 15:30

Vielleicht ist es ja für viele, die in Permakultur sehr belesen sind, ein alter Hut, aber ich bin zufällig drauf gestossen:
Die Insel Ukara im Viktoriasee als Beispiel, wo eine Insel mit an sich ungünstigen Voraussetzungen (Gestein ist Granit, ergibt also Böden, welche ohne Vorsicht bei der hohen Niederschlagsmenge in tropischem Klima von dort 1200-1600mm/a rasch verarmen) ihre Bevölkerung in Selbstversorgung ernähren konnte.
Es gab dort über Jahrhunderte eine Bevölkerungsdichte von über 200 EW/km2.
wiki hat geschrieben:Eine jahrhundertelang konstant hohe Bevölkerungszahl war auf den relativ kargen Böden auf kleinem Raum nur möglich, weil Ackerbau und Großviehzucht zugleich und ergänzend betrieben wurde.
- dies eine von mir gerne gelesene Widerlegung der Behauptung mancher Leute, dass Viehzucht auf ackertauglichen Flächen Nahrungsmittelverschwendung sei -
und, was vermutlich eine zweite Grundvoraussetzung für nachhaltige Bewirtschaftung ist, es gab keine Feudalstruktur:
wiki hat geschrieben:Die Gesellschaft war in patrilineare Clans unterteilt, die unabhängig waren und deren Clan-Älteste religiöse Funktionen übernahmen. In der weiteren Umgebung gab es Kleinstaaten mit komplizierter Verwaltungsstruktur und einer die Ressourcen kontrollierenden Herrscherschicht, die teils mit, teils gegen die einzelnen Clans agierte. Dagegen gab es auf Ukara zwar ebenfalls eine Abstufung nach verschiedenen Statusgruppen, eine zentrale Autorität aber nur für die Gerichtsbarkeit. (Unterstreichung von mir, e17)
Clan-Älteste waren bei wirtschaftlichen Entscheidungen zum Konsens verpflichtet.
Was mich daran fasziniert, ist vor allem die Tatsache, dass man hier an einem nachweislich seit sehr vielen Generationen funktionierenden Beispiel studieren könnte, wie Permakultur im Sinne des Wortes funktionieren kann und was auf welchen Ebenen (von Rezepten der Bodenbestellung bis zur Gesllschaftsordnung) anders war als in den viel häufigeren Beispielen, wo es nachweislich nicht funktioniert hat.
In Mitteleuropa gibt es vermutlich deswegen kaum Beispiele, weil auch grosse Teile der "freien" Gesellschaften in Wirklichkeit feudalisiert waren (viele Kantone der alten Schweiz vor 1798) oder die Überproduktion an Kindern als rechtlose Dienstboten und Söldner exportiert worden ist. Zudem kam es überall wegen Kriegen oder Seuchen oder Klimaveränderungen wie der Kleinen Eiszeit zu jahrzentelangen Brachen von Nutzflächen, wodurch sich Äcker und Wälder regenerieren konnten.
Ich denke, Feudalstrukturen sind immer ein Hemmnis für Permakultur, weil die obere Schicht kaum je der Versuchung zu widerstehen vermag, etwas mehr für sich abzuzweigen (und sei es nur, dass das Pfarrhaus bei Holznot immer noch geheizt wird). Das wird im Verlaufe weniger Generationen tradiert (aus angemassten Privilegien werden "Rechte"), es werden alle verfügbaren Ressourcen beansprucht, um Kriege gegen Konkurrenten zu führen, und die Unterschicht, welche die Arbeit machen muss, wird gemäss Robert Malthus und Ferdinand Lassalle bald am Existenzminimum sein und dort bleiben.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

Manfred

Re: Ukara

#2

Beitrag von Manfred » Fr 13. Jan 2017, 16:16

Im Luftbild (auf google nach Ukora suchen) und auf den Fotos, die ich finden kann, schaut die Insel nicht gut aus. Wobei die Luftaufnahme vermutlich aus der Trockenzeit ist.
Starke Zeichen von Überweidung und Erosion. Die Siedlungen konzentrieren sich entlang der Küste, wo auch sehr viele Fischerboote liegen, was wohl einen großen Teil der Bevölkerungsdichte erklären dürfte.
Im Luftbild sind überall auf der Insel sehr aufwändige, von Hand angelegte Terrassen- und Trichterstrukturen zu sehen, von denen auf den Fotos aber kaum noch etwas zu erkennen ist, was darauf schließen lässt, dass diese Nutzung Großteils zugunsten großflächigerer Methoden (Maschineneinsatz, Beweidung) aufgegeben wurde.
Wäre interessant einen Bericht von jemanden zu finden, der sich mit der landwirtschaftlichen Situation dort gut auskennt.

Benutzer 3991 gelöscht

Re: Ukara

#3

Beitrag von Benutzer 3991 gelöscht » Fr 13. Jan 2017, 16:42

Besonderheit dürfte die Laubfütterng sein

https://de.wikisource.org/wiki/Afrikani ... %BCtterung

Das war unter den Römern in Europa auch nicht unüblich.

Manfred

Re: Ukara

#4

Beitrag von Manfred » Fr 13. Jan 2017, 16:48

Vermutlich: Gewesen sein
Bäume gibt es auf der Insel fast nur noch in den Siedlungen.

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emil17
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Re: Ukara

#5

Beitrag von emil17 » Fr 13. Jan 2017, 19:34

Ich hab mir inzwischen auch Bilder auf Google (nicht Earth) angeschaut, und kanns bestätigen. Sieht übernutzt, degradiert, müde aus.
Ich vermute, dass das wie soviele traditionelle Kulturen durch die Segnungen der neuesten Zivilisation (Billigimporte von Lebensmitteln und Textilien, dadurch Landflucht und/oder Intensivierung) in den letzten paar Jahrzehnten degradiert worden ist. Maschinengängige Flächen, um CashCrops oder Touristenfutter anzubauen, damit man Cola, Blue Jeans und Mobiltelefone kaufen kann.
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Re: Ukara

#6

Beitrag von Rohana » Sa 14. Jan 2017, 10:54

Bei solchen Äusserungen hab ich manchmal das Gefühl dass die "Zivilisation" von den Sternen zu uns kam und nicht von den "traditionellen" Kulturen Mitteleuropas und anderswo entwickelt wurde. Klar, in diesem Fall auf der Insel irgendwo im nirgendwo mag das so sein - für uns hier vor Ort sicher nicht!
Ein jeder spinnt auf seine Weise, der eine laut, der andere leise... (Ringelnatz)

Manfred

Re: Ukara

#7

Beitrag von Manfred » Sa 14. Jan 2017, 11:48

Dass die Europäer ihre landwirtschaftlichen Methoden in Länder exportiert haben und immer noch exportieren, in diesen diese aufgrund völliger anderer Gegebenheiten massive Schäden anrichten, ist ja nichts Neues.

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Re: Ukara

#8

Beitrag von Buchkammer » Sa 14. Jan 2017, 16:01

emil17 hat geschrieben:...
wiki hat geschrieben:Die Gesellschaft war in patrilineare Clans unterteilt, die unabhängig waren und deren Clan-Älteste religiöse Funktionen übernahmen. In der weiteren Umgebung gab es Kleinstaaten mit komplizierter Verwaltungsstruktur und einer die Ressourcen kontrollierenden Herrscherschicht, die teils mit, teils gegen die einzelnen Clans agierte. Dagegen gab es auf Ukara zwar ebenfalls eine Abstufung nach verschiedenen Statusgruppen, eine zentrale Autorität aber nur für die Gerichtsbarkeit. (Unterstreichung von mir, e17)
Clan-Älteste waren bei wirtschaftlichen Entscheidungen zum Konsens verpflichtet.
Gerade gestern las ich im Human-Survival-Project einen interessanten Beitrag zum Thema Gemeinschaften, die sich selbst organisieren, ohne sich oder das Stück Land auf dem sie leben, auszurotten.
Das "Peacemaking" von John Young aus den USA stellt für dieses so wichtige Problemfeld vielleicht die entscheidende Lösung dar!
Das “Peacemaking” bzw. “Friedenstiften” basiert auf den universell geltenden Erfahrungen und Überlieferungen diverser Ureinwohnerstämme Haitis, Nordamerikas, Afrikas und Australiens - also Völkern die eine bestimmte Methodik brauchten um ihre Stämme und Gemeinschaften über viele Jahrtausende stabil und friedfertig zu halten. In all diesen Stämmen gab und gibt es eine ähnliche universelle Vorgehensweise um zu wichtigen Entscheidungen zu kommen und alle Gemeinschaftsmitglieder daran zu beteiligen.
Ein wichtiges Kernelement dabei ist der Konsens bzw. “Unity”. Eine Konsensentscheidung hat einen ganz anderen Stellenwert als demokratisch getroffene Entscheidungen bei denen es immer auch Verlierer gibt! In einem einmal getroffenen Konsens ist jeder vertreten und wird jeder auf die Umsetzung der gemeinsamen Entscheidung mit vereinten Kräften hinarbeiten.
Liest man bei Bedarf weiter in der folgenden Quelle:

Quelle: http://www.human-survival-project.de/ht ... chaft.html

Mir kam der Gedanke an eine Art der Permakultur innerhalb von Gemeinschaften, Gruppen oder Inselvölkern, da sich alles irgendwie im Kreis(lauf) befindet.
Gestern war ich klug und wollte die Welt verändern. Heute bin ich weise und möchte mich verändern. (Rūmī)
https://www.bewusste-menschen.de/

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Re: Ukara

#9

Beitrag von Thomas/V. » Sa 14. Jan 2017, 16:28

Hi, Buchkammer!

Ich hab mich ja auch ein bischen mit dieser Thematik beschäftigt.
Diese Konsensdemokratie ist ja auch mein Vavorit. Das Problem dabei ist, das diese indigenen Gemeinschaften sehr oft sehr viel Zeit und Ressourcen in die sozialen Beziehungen gesteckt haben, um diese innere Friedfertigkeit zu pflegen und zu erhalten.
Das funktioniert also nur, wenn die Ressourcen (Zeit und z.B. Tausch- oder "Verschenk"mittel) nicht dazu benutzt werden, den materiellen Wohlstand einer einzelnen Gruppe zu heben oder gar ein ökonomisches Schneeballsystem wie den Kapitalismus damit zu betreiben.
Gestern las ich grad einen Artikel, wo gezeigt wurde, das sich solche Dinge auch nicht von jetzt auf gleich installieren lassen, sondern Jahrzehnte oder sogar länger brauchten, bis sie funktionierten.
Lassen sie mich durch, mein Bruder ist Arzt!

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Re: Ukara

#10

Beitrag von emil17 » Sa 14. Jan 2017, 16:41

Ich denke, es funktioniert, wenn materielle Güter nur den Stellenwert haben, der ihnen zukommt.
Wenn mehr Besitz mehr Macht und mehr Status bedeutet, dann wird die Sache instabil.
Es ist zeitaufwendig.
Die Bestätigung habe ich letze Woche in einem Radiogespräch mitverfolgt, wo ein hoher Sprtfunktionär über Olymipa-Bewerbungen gesprochen hat (was mich eigentlich nicht besonders interessiert). Aufschlussreich war aber die Passage, wonach Spiele zu organisieren und durchzuführen in einer Diktatur viel einfacher sei, weil da die Sache einfach durchgezogen werde. In Demokratien hingegen würde das alles durch die Rechte der unmittelbar Betroffenen stark behindert.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

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