regenerative Landwirtschaft mit Viehbeweidung

Moderator: kraut_ruebe

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emil17
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Re: regenerative Landwirtschaft mit Viehbeweidung

#41

Beitrag von emil17 » Mo 12. Jul 2021, 10:23

Der Schachtschabel ist mehr so für Bodeneinteilung und Bildung, weniger für praktische Hinweise, wie man seinen Garten verbessern kann. Ist etwa so wie wenn man einen systematischen Botaniker fragt wie man am besten Salat anbaut. Ohne akademischen Hintergrund auch sprachlich schwer verständlich (das ist jetzt nicht abwertend gemeint). Die Grundlagen der Bodenchemie werden aber ausfühlich und korrekt dargestellt. Dort würde man z.B. die Theorie dazu finden, warum das nicht so einfach ist:
Eberhard hat geschrieben:
Sa 10. Jul 2021, 08:53
Stickstoff braucht man offensichtlich nicht erzeugen, bei einem Anteil in der Luft von etwa 78 Prozent ist recht viel davon da. Auf dem Quadratmeter liegen wohl so um die 6 Tonnen.
Mit der gleichen Logik wäre es unverständlich, warum Leute überhaupt ertrinken können, denn Wasser enthält viel mehr Sauerstoff als Luft.

Übrigens: Hofdünger ist eine nette Bezeichnung für aufbewahrte Tierausscheidungen. Man macht sich die Arbeit damit, weil die Kulturen offensichtlich mehr Ertrag bringen, wenn man sie damit beglückt. Die Definition in der wiki trifft es ganz gut:
Dünger oder Düngemittel ist ein Sammelbegriff für Reinstoffe und Stoffgemische, die in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau und in Privatgärten dazu benutzt werden, das Nährstoffangebot für die angebauten Kulturpflanzen zu ergänzen.
Zur Photosynthese der Bakterien:
Ja, die können das.
Sie können es auch an Orten, wo höhere Pflanzen nicht mehr können, und brauchen weniger Licht und Nährstoffe zum Überleben als fast alle anderen Organismen, die von Licht abhängig sind. Der Grund ist einfach: All das, was höhere Pflanzen brauchen und was nicht selber wieder Photosynthese macht (Transportgewebe, Wurzeln, Rinde, Verdunstungsschutz, sekundäre Inhaltsstoffe, Festigungsgewebe usw.) muss ja ebenfalls erzeugt und in Betrieb gehalten werden, und dazu braucht es Energie, die unter Schwachlichtbedingungen fehlt.
Der ganze Aufwand mit Wurzeln und Trieben und Zweigen und Holz und Sprossachsen und Blättern ist ja letztlich nur deswegen so erfolgreich, weil damit die Lichtausnutzung wesentlich besser funktioniert als wenn das Leben auf Stufe Cyanobakterie stehengeblieben wäre, wobei "besser" im Sinne von "effizienter" oder "mehr Stoffumsatz pro Fläche und Zeit" zu verstehen ist.

Da, wo es mehr Licht gibt, werden die Cyanobakterien deshalb von Grünalgen und Moosen und Farnen (worunter es auch wieder extreme Schwachlichtspezialisten gibt, schön kann man das in Höhleneingängen sehen) und dann von höheren Pflanzen verdrängt.
Womit wir eine Überleitung zur Praxis haben: Die Photosynthese von Bodenbakterien ist in produktiven Gartenböden mengenmässig bedeutungslos gering. Sie ist selbstverständlich von Bedeutung, etwa in der zitierten Bodenbildung, wenn die Gletscher weg sind, und da passiert in den ersten Jahrzehnten fast gar nichts. Erst wenn Flechten und Moose kommen und auch Staub eingefangen werden kann, geht es richtig los. Landwirtschaftliche Nutzung setzt aber einige Zentimeter Boden voraus, und da haben wir schon längst eine geschlossene Vegetationsdecke.
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Re: regenerative Landwirtschaft mit Viehbeweidung

#42

Beitrag von Rohana » Mo 12. Jul 2021, 10:38

Der Schachtschabel ist etwas sperrig zu lesen... wie gesagt, eigentlich ist die Vorlesung bzw. der Kurs Bodenkunde, also im Dialog mit Dozenten und Mit-Hörern, das sinnvollste in meinen Augen um Grundlagen der Materie zu lernen. Und Bodenkunde ist kein "was mache ich im Garten" Kurs, sondern tatsächlich Boden-Kunde!
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Re: regenerative Landwirtschaft mit Viehbeweidung

#43

Beitrag von ScoutSV » Mo 12. Jul 2021, 11:13

Ok, dann hat sich der Schachtschnabel für mich erledigt. Verstehen würde ich es vermutlich, aber dann doch lieber trial-n-error. Das ist spannender, unterhaltsamer und es kommen für mich mehr greifbare Erfahrungen bei raus :grinblum:

Eberhard
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Re: regenerative Landwirtschaft mit Viehbeweidung

#44

Beitrag von Eberhard » Mo 12. Jul 2021, 12:49

Geheimnisse der fruchtbaren Böden
Das passt sicher in das ursprüngliche Anliegen von ScoutSV.

Zum Thema Stickstoff:
Was ist HUMUS - wie entsteht er
In diesem Vortragsscript im zweiten Teil geht Erhard Hennig recht anschaulich auf die N-Problematik ein.
Anschaulich wird deutlich, dass man sich nicht nur akademisch mit möglichen Vorgängen beschäftigen sollte, sondern dass man im gleichen Atemzuge auch seine Wirtschaftsweise überprüfen sollte, ob man solche Vorgänge auch zulässt.

Wer seine Wiese flächig mit unbehandelter Gülle (Fäulnis, Ammoniak) ertränkt, kann sich Überlegungen zu aufbauenden Vorgängen und Humusbildung ersparen. Düngen und guten Boden erzeugen sind sehr unterschiedliche Kategorien. Die können gut zusammenlaufen, müssen es aber nicht zwingend.
Mit der gleichen Logik ...
Ja, wenn man verkürzt oder nicht richtig lesen kann, wirkt es witzig. Vorhandensein <> Verfügbarkeit, das müsste man auch wahrnehmen und verstehen.
Mit freundlichem Glück Auf!

Eberhard

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Re: regenerative Landwirtschaft mit Viehbeweidung

#45

Beitrag von ScoutSV » Mo 12. Jul 2021, 13:18

Danke für den Link und das Dokument. Den Vortrag werde ich mir mal in Ruhe zu Gemüte führen :daumen: :kaffee:

Eberhard
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Re: regenerative Landwirtschaft mit Viehbeweidung

#46

Beitrag von Eberhard » Mo 12. Jul 2021, 13:34

"Woran liegt es dann, dass, wenn wir Dünger ausbringen, die Pflanzen besser wachsen? Es
liegt daran, dass diese Pflanzen nicht auf Boden, sondern auf Dreck stehen.
Mutter Natur sendet euch auf diesem Weg eine sehr wichtige Nachricht: Wenn ihr Dünger
ausbringt und eure Pflanzen danach besser wachsen, dann habt ihr nicht das nötige Leben
im Boden.
Und erinnert euch: Nach der Definition des Begriffs Boden müsst ihr die notwendigen
Organismen haben. Wenn ihr die für die Nährstoffaufbereitung nötigen Organismen nicht
habt, dann handelt es sich um Dreck. Nennt ihn beim Namen, wenn ihr einen anorganischen
Dünger ausbringt und eure Pflanzen dann besser wachsen."

Aus Dr. Elaine Ingham: Einblick ins Bodenleben
Mit freundlichem Glück Auf!

Eberhard

penelope
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Re: regenerative Landwirtschaft mit Viehbeweidung

#47

Beitrag von penelope » Mo 12. Jul 2021, 14:09

Mir erscheint das zu pauschalisierend und zu eindimensional.

Natürlich möchte ich im klassischen Gemüsebeet einen möglichst humosen Boden haben und grundsätzlich sind humusreiche Böden als CO2-Senken von immenser Bedeutung.

Aber wenn ich Zitate wie oben lese, halte ich das für zu populistisch. Pflanzen an sich können ja total unterschiedliche Bedürfnisse haben. Besonders viele Nährstoffe bereitzustellen, ist ja auch mal überhaupt nicht für jede Pflanze in jedem Stadium pauschal gut. Eine Überversorgung ist ja nicht weniger problematisch als ein Mangel. Ich bereite den Boden für Salat und für Kürbis ja nicht in gleicher Weise vor. Wenn doch würde entweder der Kürbis kümmern oder der Salat eine Nitratschleuder werden. Und wenn ich bestimmte Kräuter oder Heilpflanzen kultivieren will, arbeite ich vielleicht sogar Sand in den Boden ein, da die besonders gut auf eher kargen und humusarmen Böden wachsen. Unter dem Aspekt des Artenschutzes sind besonders die mageren Standorte wie viele Blumenwiesen von Bedeutung und es wird viel Aufwand betrieben, die von zu viel Nährstoffeintrag zu bewahren.

Überall, wo eine Antwort auf alles gegeben wird, sollte man skeptisch sein.

Eberhard
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Re: regenerative Landwirtschaft mit Viehbeweidung

#48

Beitrag von Eberhard » Mo 12. Jul 2021, 15:23

zu pauschalisierend und zu eindimensional
Das ist richtig. Überspitzungen, Übertreibungen können aber gut verdeutlichen, also helfen zu einem Verstehen.

Selbstredend gibt es Kräuter und Pflanzen, die magere Böden lieben, oder saurere Böden.

Meist geht es aber um den Anbau von Kulturpflanzen, die uns satt machen sollen, und diese sind überwiegend Mittel- bis Starkzehrer. Dem würde man doch Rechnung tragen. Blumenwiese, Sumpf und Wald lasse ich da außerhalb der Betrachtung.

Dazu folgende Gedanken:

- Es wird schwierig sein, einen Boden auf genau eine Pflanze mit ihren individuellen Ansprüchen vorzubereiten. Das um so mehr, wenn man in Fruchtfolge denkt - so schnell kann man Boden gar nicht umswitchen. Und dann Mischkultur (miteinander, nicht nur nebeneinander): Worauf stimmt man ab, wenn man die Bedürfnisse wirklich kennt und erfüllen kann? Wenn dann die Mischkultur auch noch fließend ist, also wenn sich durch Ernte ergebende Lücken sofort wieder durch weitere Kulturen aufgefüllt werden?
Diversität (Vielfalt) ist einer der o.g. 5 Punkte, auf die auch Gabe Brown verweist. Möglichst durchgehende Begrünung eine weiterer.
Ich denke, ein guter Durchschnitt, der vieles gut wachsen lässt, ist dann die einzige realistische Zielstellung.

- Der Boden meines Gartens (wie vermutlich sehr viele Gärten) ist nährstofftechnisch laut Bodenanalyse überversorgt, gerne mal mit Faktor 2 bis 3. Die Zahlen hatte ich mal in einem meiner Beiträge aufgeschrieben. Das ist zum einen ein Grund für mich, richtige Starkzehrer bevorzugt anzubauen.
Daneben habe ich mal eine biologische Analyse anfertigen lassen und dazu gezielt nachgefragt. Die Antwort fand ich spannend:
"Was die Mineralstoffanalyse angeht - solange es kein Überangebot eines bestimmten Nährstoffs gibt, das für die gesamte Biologie im System schädlich sein könnte, neigen wir nicht dazu, uns sehr auf ihre Messwerte zu konzentrieren. Wenn dies der Fall ist, sehen wir es unter dem Mikroskop, wenn sogar die Bakterien nicht überleben. Diese Nährstofftests beziehen sich nur auf die wasserlöslichen Formen jedes Nährstoffs, und da wir jetzt verstehen, dass der Nährstoffkreislauf in voll funktionierenden Systemen die Fähigkeit hat, Nährstoffe aus unlöslichen Formen (aus Sanden, Schluffen, Tonen und organischem Material) durch die Biologie zu ziehen, werden diese chemischen Tests für die allgemeine Analyse der Bodengesundheit etwas weniger nützlich."

Man könnte auch sagen: Eigentlich füttern wir nicht die Pflanzen, sondern das Bodenleben, das seinerseits die Pflanzen füttert - sofern die eigene Wirtschaftsweise das zulässt. Das System Humus-Bodenleben ist ein sehr starkes Regulativ, wo ich mir dann wegen Nitratschleudern weniger Sorgen mache.
Mit freundlichem Glück Auf!

Eberhard

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Re: regenerative Landwirtschaft mit Viehbeweidung

#49

Beitrag von penelope » Mo 12. Jul 2021, 15:44

Eberhard hat geschrieben:
Mo 12. Jul 2021, 15:23

- Es wird schwierig sein, einen Boden auf genau eine Pflanze mit ihren individuellen Ansprüchen vorzubereiten. Das um so mehr, wenn man in Fruchtfolge denkt - so schnell kann man Boden gar nicht umswitchen. Und dann Mischkultur (miteinander, nicht nur nebeneinander): Worauf stimmt man ab, wenn man die Bedürfnisse wirklich kennt und erfüllen kann? Wenn dann die Mischkultur auch noch fließend ist, also wenn sich durch Ernte ergebende Lücken sofort wieder durch weitere Kulturen aufgefüllt werden?
Ja, genau. Ist schwierig ;)
Und wenn man denn noch weiteres beachten will, den Lebenszyklus von bestimmten Schädlingen und Pilzen zu unterbrechen usw., dann wird es nochmal komplexer.

Für mich liegt genau da die Kunst des Gärtnerns und auch ein großer Teil der Faszination.

Eberhard
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Re: regenerative Landwirtschaft mit Viehbeweidung

#50

Beitrag von Eberhard » Mo 12. Jul 2021, 18:13

Die Bakterien mögen ja bis in 1m Tiefe nachweisbar sein, aber da unten tun sie garantiert KEINE Fotosynthese betreiben, egal mit welchem Licht, denn da gibt's KEINS! Sie müssten, um im Boden Sauerstoff bereitzustellen, Selbigen an der Erdoberfläche erzeugen, speichern, und dann nach unten schleppen - tun sie das?
Klar, in Uniformen der Schweizer Garde unter Klängen von Dixieland, und wenn sie haben, nehmen sie den Fahrstuhl.

Irgendwo, die Quelle habe ich mir nicht gemerkt, hatte ich gelesen, dass eine solche Photosynthese durchaus in einem halben Meter Tiefe noch stattfindet. Ob ein paar Zentimeter mehr oder weniger ist mir aber völlig egal und unwürdig einer Diskussion. Ich begreife es als Chance, wenn nun gerade etwas tiefer Sauerstoff bereitgestellt werden kann, der von anderen aufbauenden Organismen gut gebraucht werden kann (und man damit etwas mehr auf eine Bodenbearbeitung verzichten kann). Und mit etwas Glück und Geschick schafft man es, solche Chancen nicht gleich von Haus aus zu verbauen.
Mit freundlichem Glück Auf!

Eberhard

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