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von emil17 » Mo 2. Mär 2015, 14:14
Interessante Diskussion. wie immer beim Naturschutz werden Weltanschauung, Wirtschaft, Forschung und eine romantische Sicht der Vergengenheit vermischt. Recht hat, wer seine Argumente höher gewichtet als die der anderen. Dem kommt keiner aus.
Zu Neuengland: Aufgrund der Fläche des Gebietes, des Klimas, der Wüchsigkeit und der Bevölkerungsdichte von vor 1620 kann ich mir schlicht nicht vorstellen, dass diese Waldbestände in ihrer Artenzusammensetzung ein Bewirtschaftungsprodukt gewesen sein sollen.
Natürlich gibt es überall mal wieder Jäger und Sammler, aber die können die Klimaxvegetation nicht wirklich beeinflussen.
Für mich ist unerklärlich, dass einerseits die Steinzeitjäger alle Grossherbivoren ausgerottet haben sollen, andereseits aber die Pioniere in den Prärien Nordamerikas bis Mitte des 19.Jhdts noch riesige Büffelherden angetroffen haben, denen erst eine Kombination aus Feuerwaffen und Dummheit (Freude am sinnfreien Abknallen) den Garaus machen konnte.
Hier wird europäische Jägermentalität auf die Vorgeschichte übertragen. Versuche mal mit einer Treibjagd einige hundert Quadratkilometer dicht bewaldetes Mittelgebirge wildfrei zu machen, dann weisst du warum ich nicht glaube, dass die Steinzeitjäger das geschafft haben sollen. Abgesehen davon, dass das ihren eigenen Interessen zuwidergelaufen wäre. Die Prärieindianer hatten bis zu den Feuerwaffen immerhin schon zweihundert Jahre lang Pferde (von den Spaniern im 16. Jhdt) und damit wesentlich bessere Jagdmöglichkeiten, konnten oder wollten aber die Grosswildbestände damit genausowenig gefährden wie das die Eingeborenen in den Savannengebieten Zentralafrikas je getan haben. "Primitive" Jagdvölker verstehen sehr viel von dem, was man heute als Populationsmanagement bezeichnen würde, nur würden sie ihre Handlungsmaximen nie auf eine uns verständliche argumentierende Weise begründen.
Geschlossene Wälder sind überall leer, was Grossherbivoren angeht, in den nassen Tropen, in den nassen Subtropen, im gemässigten und im borealen Klimabereich. Da wo es Grasland gibt (wegen zeitweiliger Trockenheit oder im Waldgrenzbereich), sind die grossen Grasfresser vorhanden.
Wo sie vorhanden sind, verzögern sie natürlich dei Wiederbewaldung offener Flächen, was dazu führt, dass das Wald/Offenlandgemisch im klimatischen Grenzbereich grösser ist als wenn es keine grossen Pflanzenfresser gäbe. Aber Elche können in Zentralschweden das Land genauso wenig Waldfei machen, wie man bei uns mit Kühen ohne Nachputzen die Verbuschung von Weideland verhindern kann. Sobald aber zeitweilig Sommertrockenheit herrscht (in der Felsensteppe im Zentralwallis gibt es solche Flächen), tut sich die Baumverjüngung unglaublich schwer, weil sie der Konkurrenz des Grases nicht gewachsen ist. Genaueres über den Antagonismus Gras/Gehölz findet sich bei Heinrich Walter.
Was ich an der Diskussion schade finde, ist, dass aus Sicht des Land- und Forstwirts jede nicht besiedelte oder sonst zugebaute Fläche als potentielles Ertragsland gesehen wird, dessen Nicht-Nutzung eine Dummheit wäre. Das ist aus der Sicht dieser Berufe verständlich, aber die wahren Kulturlandverluste gehen zu Lasten der Besiedelung. Bestes Kulturland wird quadratkilometerweise in Einfamilienhaussiedliungen oder Industrieland verwandelt, weil das finanziell rentabel ist. Die Naturschutz- und Waldflächen sind meistens wenig fruchtbar (z.B. die riesigen Buntsandsteinflächen des Pfälzerwaldes) und deshalb bewaldet geblieben. Später haben feudale Besitzverhältnisse einerseits Wald konserviert: Der Fürst gönnt sich einige tausend ha Wald zur Jagd, und seine Untertanen wissen nicht womit ihre Kate heizen. Genau deswegen wurde aber auch Wälder ruiniert: Verkauf zum Abholzen, um einen Krieg oder den Hof zu finanzieren, oder der Wald wurde gnadenlos übernutzt, weil die Landfbevölkerung auf das Holz angewiesen war.
Hierzu lies in "Wald und Mensch" von F. v. Hornstein.
Für mich ist das Hauptargument, an sich rentabel bewirtschaftbare Flächen aus jeder Nutzug zu nehmen, neben des ästhetischen und rein wissenschaftlichen, folgendes:
Wir wissen nicht, was in einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten von Interesse sein könnte. Deshalb wäre es dumm, Vegetationsformen mit Dingen, die wir noch gar nicht kennen, weil sie uns jetzt nicht interessieren und wir sie deshalb nicht wahrnehmen, aus kurzfristigem ökonomischen Interesse verschwinden zu lassen.
Land- und Forstwirtschaft gegen Naturschutz auszuspielen ist sowieso unsinnig, weil beide die gleichen langfristigen Intressen haben, nämlich eine funktionierende und deshalb nachhaltig produzierende Umwelt. Die Hauptprobleme der Grundproduktion, der Zwang zur Rentabilität auf Kosten der Umwelt, wird nicht kleiner, wenn man jede Restfläche auch noch voll ausnützt.
Ich meine jetzt nicht die Bauern, die Grund als Bauland verkaufen und dann jammern, sie bräcuhten mehr Fläche.
Der Zwang zu mehr, schneller, rentabler hört nicht auf, solange die einheimischen Erzeugnisse der Forst- und Landwirtschaft gegen die auf Plünderwirtschaft beruhenden Einfuhren aus dem Ausland bestehen müssen.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.