emil17 hat geschrieben:zaches hat geschrieben:Helfer unter 25 sind oft sehr unterfahren, halten sich aber oft auch für den Nabel der Welt, haben immer recht und denken, sie hätten gerade die Weltfriedenslösung gefunden und gepachtet.

Aus ihrer Perspektive stimmt das auch.
Stimmt ja wirklich: da ist der Regenwald am Aussterben und die reden mit dir darüber, auf welchen Abstand man Zuckerrüben ausdünnen muss ...
Grossteils stimmt das - am mühsamsten sind die, die noch nie in ihrem Leben irgendwo für Geld gearbeitet haben. Jede Kritik wird persönlich genommen und Arbeit sollte bitteschôn ein unterhaltsames Event sein. Das kenne ich gut von meinen früheren Lehrlingen, die hatten am Anfang alle solche Probleme.
Der Unterschied ist aber: Mit einem Lehrling hat man einen langfristigen Ausbildungsvertrag. Der hat sich entschieden, einen Beruf zu lernen, und der Arbeitgeber hat sich entschieden, denjenigen auszubilden. Zumindest nach der Probezeit hat der Arbeitgeber dann Verantwortung, aus dem jungen Menschen was zu machen, so es irgendwie geht. (Wenn es gar nicht geht, trennt man sich auch). Und man hat (im Fall der Lehre als Informatiker/in) dreieinhalb Jahre Zeit. Ich habe vom Schulabbrecher bis zur Gehörlosen ausgebildet, und das sehr erfolgreich (wurde mit allen Preisen ausgezeichnet, die die Stadt Wien für Ausbildungsbetriebe zu vergeben hat).
Von daher (und auch von einigen meiner früheren beruflichen Inkarnationen, in denen ich als Trainerin und Beraterin tätig war) bin ich der Überzeugung, dass der Rahmen stimmen muss, wenn man im Leben eines anderen Menschen sinnvoll etwas beitragen will. Und dass man nicht aus jeder Position heraus jemanden coachen kann - als Arbeitgeberin habe ich das auch nicht angemaßt, sondern in schwierigen Fällen Externe hinzugezogen, weil ich als Chefin rein vom Setup her kein Coach für meinen Lehrling sein kann. Das hat auch funktioniert.
Freiwillige und Gastgeber können sich nur auf Augenhöhe als Erwachsene begegnen. Weder soll und kann der Freiwillige mich als Gastgeber über die normale Kommunikation unter Erwachsenen hinaus beraten, "an etwas heranführen" und dergleichen, noch soll ich Derartiges tun. Einfach deswegen, weil es nicht funktionieren kann - der Rahmen für alles, was nach Therapie und Coaching, oder auch Berufsausbildung riecht, ist bei einer Freiwilligen/Gastgeber-Beziehung einfach nicht vorhanden.
Ich lasse mich daher auch nicht darauf ein, nicht weil ich kein Geld dafür bekomme, sondern weil es nichts bringt. Wenn ich sehe, dass ich für jemanden nachhaltig etwas beitragen kann - und da müssen eben die Voraussetzungen stimmen - mache ich es auch. Das macht ja Spass. Vier junge Ex-Volontäre von mir haben wir erfolgreich weiterführende Berufsausbildung vermittelt und/oder Jobs, je nachdem was sie wollten.
Eine hat ein Jahr mit Behinderten in Oberösterreich gemacht (ich habe ihr die Bewerbung geschrieben), einer ist jetzt bei centauri, einer ist Schilehrer geworden und einer, ein junger Musiker, hat sich in einem Restaurant vor Ort das Geld für seine Ausbildung als Tontechniker verdient. Der Schilehrer war übrigens ein junger Mann Anfang 20, der den ganzen Sommer bei uns war und mit dem wir bestens ausgekommen sind.
Das waren lauter Leute, die ich - gemäß meiner Theorie - auf der "teilnehmenden" Seite gesehen habe. Die ließen sich einfach von Aufgaben hineinziehen, auch wenn sie vorher nicht dafür interessiert haben und hatten Spass am Werk. Deswegen sind sie auch in den nachfolgenden Jobs oder Ausbildungen erfolgreich.
Diese Haltung haben sie aber schon mitgebracht, die habe ich ihnen nicht vermittelt (was auch wie gesagt unter den gegebenen Umständen gar nicht gegangen wäre).
Um noch mal auf die böse kapitalistische Seite zurückzukommen: Ein Freiwilliger ist ein Reisender, der wie zaches schon sagt, ganz unterschiedliche Motivationen hat - billig reisen, die Einheimischen besser kennenlernen, eine Auszeit nehmen, ohne irgendwo im Hotel oder am Strand rumzusitzen, sich in einer Gegend etablieren, wo man dann bezahlte Arbeit finden will ... gibt auch Motive, mit denen ich nicht so einverstanden war, nämlich eine Frau in der EU finden, die einem die problemlose Einreise ermöglicht
Jedenfalls muss der Reisende die finanziellen Ressourcen haben, um an- und abzureisen und gegebenenfalls zwischen den verschiedenen Stationen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Das ist kein lohnabhängiger Arbeitnehmer, dafür kann er auch kommen und gehen wie er will. In Österreich gilt das auch rechtlich nicht als Erwerbsarbeit.
Etwa ein Drittel meiner bisherigen Freiwilligen waren deutlich reicher als ich - beruflich sehr erfolgreiche Leute, die auf Auszeit waren. Die ältere Volontäre (ein weiteres Drittel) sind entweder Dauerweltreisende, die Vermögen haben oder ein paar Monate im Jahr bezahlte Jobs annehmen, um wieder weiter reisen zu können oder beruflich etabliert sind und das als alternative Urlaubsgestaltung sehen. Oder es sind Pensionisten, die aktiv sein wollen.
Das Klischee, das hier in der Diskussion manchmal anklingt, dass Freiwillige finanzschwache Leute sind, die man billig ausbeuten kann, kann ich daher gar nicht bestätigen. Auch meine jungen Freiwilligen hatten grossteils Eltern als Sponsoren. Es muss also keiner bleiben, wenn es nicht passt.
Was die Arbeit des Freiwilligen wert ist, kann man so nicht pauschal sagen. Es gibt Leute, die langsam sind und nicht viel kônnen, sodass man alleine schneller wäre. Die muss man - wie zaches auch schon sagte - auch aushalten. Ich habe da nichts dagegen, solange ich das Bemühen des Freiwilligen sehe, etwas beitragen. Manche sind halt nicht sonderlich praktisch veranlagt. Ich arbeite sogar manchmal lieber mit so jemandem, als alleine, weil ich dann Dinge in Angriff nehme, die mir alleine zu langweilig wären (Garage räumen oder so ...). Dann bekommt man wieder Leute mit professionellen Fähigkeiten, die man gar nicht bezahlen könnte. Interessanterweise waren letztere immer unsere zufriedensten Freiwilligen .... einige besuchen uns bis heute als Freunde.
Wie sind hier eine begehrte Tourismusgegend. Wenn man hier in der Saison schön wohnen will, zahlt man seinen Preis. In unserem Haus wohnt man sehr schön. Das billigste Zimmer unten im Ort ohne besonderen Komfort und in keiner tollen Lage kostet 300Euro pro Monat (Gemeinschaftsdusche, Gemeinschaftsküche und ohne Verpflegung) - geht aber nur Langzeit zu mieten. Damit sich Verpflegung und dergleichen auch noch ausgehen (es ist alles teuer hier) muss man als Ungelernter schon mindestens halbtags arbeiten - und das, ohne Faxen zu machen.
Würde ich eines der Zimmer vermieten, die meine Freiwilligen bekommen, kann ich in der Saison (ohne Verpflegung) mindestens 30€ pro Person und Tag bekommen. Für das Geld kann ich mir Leute aus dem Dorf holen, die genau das können, was ich von ihnen will. Wenn es denn nur um Kosten-Nutzen-Rechnung ginge. Das ist in anderen Regionen von der Rechnung her möglicherweise anders - bei uns ist es sicher nicht so, dass man Freiwillige aus Geiz oder Geldgier nimmt, einfach weil jedes Zimmer einiges wert ist, wenn man es vermietet. Man kann also nicht einfach den geringen Betrag X einsetzen, was einem die Arbeit angeblich "nur" wert ist, wenn ich sage, bezahlte Hilfe wäre (bei uns) nicht teurer.
Ich nehme Freiwillige, weil es mir insgesamt gefällt - das tut es, weil ich viele tolle Leute kennengelernt habe (unter anderem meinen Lebenspartner). In 90% der Situationen waren beide Seiten zufrieden (sonst würden die Leute keine super Bewertungen schreiben). Und weil ich mich von den 10%, mit denen ich nicht klarkomme, abgrenzen kann.
Ich freue mich derzeit auf zwei junge Leute aus Dresden, nachdem ich den ganzen Winter (selbstgewählt) alleine war ...