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Kälbchentod - Zahlen?

Verfasst: Do 12. Jan 2012, 10:58
von zaches
Sagt mal, kennt jemand von Euch eine Zahl (oder mehrere) , die beschreibt, was so "normal" ist an Kälbchentod in Milchviehbetrieben und bei Muterkuhhaltung?

In den Milchviehbetrieben der Nachbarschaft - alles so um die 100-140 milchgebende Kühe plus Nachwuchs und Rinder - sehe ich immer wieder das "Durchfallproblem". Viele (?) der Kälber verrecken daran. UNd in meinen Augen ist der Nullaustauscher als Futter völlig ungegeignet, ein Kalb gesund groß werden zu lassen. hm - gibt es Zahlen, Artikel etc dazu, bei welcher Haltung und Futter die Kälber sich am besten entwickeln?

Einer meiner Nachbarn setzt die (wertlosen) Bullenkälber oft zu kranken Kühen mit Euterentzündung, damit sie ständig nuckeln. Sowohl Kühen und Bullenkälbern geht es damit gut und die Kälber entwickeln sich besser als die Schwestern in den Kälberboxen. Selbst wenn es 3 Kälber odermehr bei einer Kuh sind. Damit werden hier schon reichlich MEdikamente eingespart (im Grunde habe ich bei meinen Brustentzündungen in der Stillzeit auch nix anderes gemacht).

hm - irgendwie verstehe ich diesen Futterwahn nicht. Nullaustauscher wird hier sowas von beworben. Aber wie sieht denn die langfristige Entwicklung aus? Wie ergaht es den Rindern/Kühen später?

lg, zaches :kuuh:

Re: Kälbchentod - Zahlen?

Verfasst: Do 12. Jan 2012, 11:09
von Spottdrossel
Naja, wenn wir schon bei "zurück zur Natur" sind - ist denn das Futtergras auf den Weiden heutzutage noch "artgerecht"?
Wenn ich mir die beschissenen Hinterteile von Weidevieh anschaue, kann ich mir nicht vorstellen, daß Mutter Natur das so vorgesehen hat.
Vermutlich war die Ur-Kuh doch wohl auf hartes Steppengras "programmiert"?
Mit dem Interesse an der Milchnutzung wuchs auch der Bedarf an energiereicherem Gras.
Wodurch auch viele "Zivilisationskrankheiten" bei Pferden kommen, die die überschüssige Energie nicht ins Euter umleiten können.
Und wenn ich eine Aussage in einer Pferdezeitung richtig verstanden habe, darf man auch nicht "einfach so" andere Grassorten aussäen als die, die momentan schon draußen wachsen???

Re: Kälbchentod - Zahlen?

Verfasst: Do 12. Jan 2012, 12:04
von Sabi(e)ne
Moin, zaches,
http://www.kamlage.de/vital/muttertier.pdf
Stalleigene Vakzine scheinen da helfen zu können, und eine schnellere Biestmilchversorgung.
Die Zahlen in dem pdf sind wirklich grausig :eek:

@Spottdrossel: Dann weißt du ja, warum es heutzutage keinen Kuhmist mehr gibt, mt dem man Bienenkörbe wasserdicht machen kann, oder den man trocknen und verbrennen könnte wie in früheren Zeiten...
Silage, besonders aus Mais, hat für das Verdauungssystem der Wiederkäuer viel zuwenig Rauhfaser und zuviel Stärke.
Sind halt keine Getreidefresser...
Die Demeters sind m.W. die einzigen, die Heu zwingend vorschreiben, und Silagen aller Arten nur als Zusatz, nicht aber als Hauptfutter erlauben.

Re: Kälbchentod - Zahlen?

Verfasst: Do 12. Jan 2012, 12:38
von Bunz
Hallo zaches,
DER Rinderfachmann bin ich nun nicht, aber...
Es ist so, wie hier schon hundertmal geschrieben: Bei künstlicher Ernährung viele, kleine Mahlzeiten und 38 Grad warm.
Ich behaupte mal daß 90 % der Durchfälle auf das Nichteinhalten dieser einfachen Regeln zurückzuführen sind.
Denn: Das bedeutet Arbeit, und die ist teuer.
Um die 38 Grad nicht einhalten zu müssen, hat man sogar Säuerungsmittel erfunden.
Naja, diese ganze Milchgewinnung ist eben fragwürdig.
Nur der Selbstversorger kann sie naturverträglich lösen.
Und was nun die weiteren Generationen angeht...
Richtig, wem das Kalb wurscht ist, handelt eben entsprechend. Der Selbstversorger, der sich ein laktierendes Tier heranziehen will, wird es tunlichst bei der Mutter lassen.
lg
Bunz

Re: Kälbchentod - Zahlen?

Verfasst: Do 12. Jan 2012, 13:06
von matt23
Bei Milchviehbetrieben gelten Kälberverluste bis ca. 10 % als "normal". Etwa die Hälfte davon geht auf Totgeburten zurück.
Natürlich sollte man trotzdem immer checken was die Ursache für die Verluste ist. Denn wenn z.B. vermehrt Kälberdurchfall oder Totgeburten anfallen muss man das Management anpassen (Impfungen, Unterbringung, Stall- und Futterhygiene usw.) Natürlich ist jeder Landwirt bestrebt möglichst gesunde Kühe und Kälber zu haben, denn jede Krankheit und jeder Verlust bedeutet auch finanzielle Einbußen und keiner hat gerne kranke Tiere im Stall.
Spottdrossel hat geschrieben:Naja, wenn wir schon bei "zurück zur Natur" sind - ist denn das Futtergras auf den Weiden heutzutage noch "artgerecht"?
Wenn ich mir die beschissenen Hinterteile von Weidevieh anschaue, kann ich mir nicht vorstellen, daß Mutter Natur das so vorgesehen hat.
Vermutlich war die Ur-Kuh doch wohl auf hartes Steppengras "programmiert"?
Mit dem Interesse an der Milchnutzung wuchs auch der Bedarf an energiereicherem Gras.
Wie bereits beschrieben ist das Problem hierbei, dass das sehr junge Gras sehr eiweißreich ist, den Kühen aber nicht die nötige Rohfaser liefern kann.
Bunz hat geschrieben: Es ist so, wie hier schon hundertmal geschrieben: Bei künstlicher Ernährung viele, kleine Mahlzeiten und 38 Grad warm.
Ich behaupte mal daß 90 % der Durchfälle auf das Nichteinhalten dieser einfachen Regeln zurückzuführen sind.
Denn: Das bedeutet Arbeit, und die ist teuer.
Ich behaupte, dass die meisten Ursachen für Kälberverluste eher in einer mangelhaften Hygiene liegen. Mit Angaben in Prozent wär ich da vorsichtig...
:kuuh:

Re: Kälbchentod - Zahlen?

Verfasst: Do 12. Jan 2012, 13:07
von Manfred
Die oben verlinkten Zahlen aus beinhalten Totgeburten und Verluste bei derAufzucht in den ersten 6 Monaten. Anteilig je ca. die Hälfte. Und die Zahlen kommen meines erachtens ganz gut hin.
Es gibt dabei immer wieder Betriebe mit sehr hohen Verlusten.
Einmal bei den Geburten durch Zucht- und Fütterungsfehler (Geburtsgewicht der Kälber zu hoch, Kühe zu fett. Beides macht Schwergeburten). Dazu kommt, dass bei Betrieben in der Arbeitsfalle Milchvieh öfter ohne Aufsicht kalben muss. Dass führt dann manchmal zu Verlusten, die mit Geburtshilfe vermeidbar wären.
Zum anderen in der Aufzucht durch Managementfehler (schlechtes Stallklima, zu späte Kolostrumgabe) oder schwer in den Griff zu bekommende Keime im Stall. Echt übel für den Bauern, wenn er so eine Erkrankunswelle erwischt und auch der Tierarzt eine ganze Zeit nicht wirklich helfen kann und ein Kalb nach dem andernen fällt, bis endlich eine Ursache ermittelt wird.
Wir hatten früher in manchen Jahren im Winter auch sehr hohe Verluste bis geschätzt 30% durch Durchfall- und Atemwegserkrankungen. Das Stallklima in dem alten, überfüllten, schlecht belüfteten Anbindestall war grauenvoll. Mein Großvater meinte, man müsse das Vieh und vorallem die Kälber warm halten. Dafür lief das Kondenswasser von der Decke...
Als junger Erwachsener hab ich mich dann in die Problematik eingelesen und gegen den Willen von Vater und Großvater ein paar Schnitte gemacht.
Die Belüftung im Stall durch entfernen von Fenstern deutlich verbessert und eine Kälberhütte draußen im Hof gebaut. Sie haben Zeter und Mordio geschrieen, dass jetzt alle Kälber erfrieren oder an Lungenentzündung verrecken würden, haben die Fenster wieder dicht gemacht, den Kälberstall mit Planen eingehült etc. Hat mich einiges an Nerven gekostet, den Mist jedesmal wieder zu entfernen. Irgendwann haben sie sich dann doch gewundert, dass nicht mehr 30% verrecken sondern gar keines mehr und nach ein oder zwei Jahren war es dann in den Hirnen angekommen, dass kalt und trocken viel besser sind als warm und feucht und dass es wichtig ist, dass das Kalb gleich Kolostrum bekommt und man lieber nachts eine Stunde länger wach bleibt bis das Kalb trinken mag als dass man es bis nach der morgendlichen Melkzeit warten lässt.
Heute ist das ja in gut geführten Milchviehbetrieben alles Standard. Die Kälber werden separt in peinlich gereinigten Hütten bei gutem Außenklima gehlaten etc. Aber manchmal schleicht sich halt doch ein Keim oder ein Fehler ein, der alles zunichte macht.

Bei meinen Mutterkühen hatte ich bisher einerseits viel Glück und andererseits habe ich dumme Anfängerfehler gemacht.
Bisher habe ich nur 2 Kälber durch eine Totgeburt verloren. War eine Zwillingskalbung einer älteren Kuh. War Abends noch auf der Weide, zur Kontrolle. Und als ich frühmorgens wieder nachgesehen habe, hatte die Kuh gekalbt und beide Kälber lagen tot auf der Wiese. Der Spurenlage nach kam wohl das erste Kalb verkehrt herum und hatte sich zudem in der Nabelschnur verdreht. Dadurch ist es vermutlich beim Geburtsvorgang erstickt und die Geburt aht so lange gedauert, dass auch das 2. Kalb mit verendet ist.

An den anderen beiden Verlusten bin ich schuld. Das erste Kalb habe ich im 2. Jahr verloren. Ich war noch in München und bin nur an den Wochenenden heim gefahren. Das Kalb war zu früh dran und wurde deshalb ein paar Tage vor dem Weideaustrieb im Tiefstreustall gebohren. Das war ein Einraumstall ohne Kälberbereich, weil nur für die Kühe vorgesehen. Mein Vater hat das Kalb am Donnerstagnachmittag gesehen. Ich hab ihm gesagt, er soll es raus holen. Hat sich aber nicht getraut. Ich habe darauf vertraut, dass es die Mutter bis Freitagnacht schützt, bis ich nach der Arbeit heim fahren konnte. Hätte liefer sofort fahren sollen. Das Kalb hat vermutlich einen Tritt in den Bauch bekommen und konnte nicht mehr aufstehen. Wir haben mehrer Tage versucht, es durchzubringen, bis es schließlich gestorben ist.
Das Zweite Kalb kam 1 Jahr später ebenfalls im Laufstall zu früh zur Welt. Diesmal wollte ich es gleich raus holen. Da der Deckbulle mit im Stall war, wollte ich zu meiner Sicherheit erst die anderen Rinder raus in den Auslauf scheuchen. Und das war schon der Fehler. Statt durch die Tür in den Auslauf ist die Herde 1 x im Kreis im Stall gerannt und das Kalb ist dabei trotz des verzweifelten Versuchs der Mutter es zu schützen unter die Räder gekommen und ebenfalls in den Bauch getreten worden.
Es ist mir noch ein drittes Mal passiert, dass ein Kalb zu früh im Stall zur Welt kam. Da bin ich aber dann einfach rein, direkt zum Kalb, Kalb geschnappt und wieder raus in den Auslauf. Die Mutter kam brav mit durch die Tür. Haben die Mutter gleich zur Weide gefahren, das Kalb sicherheitshalber separat hinterher und gut war es.
Wenn man die Kühe gezielt im Stall kalben lässt, braucht man einen separaten Abkalbebereich und einen Kälberschlupf. Selbst wenn das Kalb unbemerkt im Tiefstreustall bei der Herde zuer Welt kommt, sucht es bald den Kälberschlupf auf, wo es unbehelltig liegen kann. Und nach ein paar Tagen sind die Kälber eh so schnell und fit, dass sie ohne große Gefahr im Stall in der Herde laufen können.
Insgesamt liegt mein Verlust durch diese 4 Kälber bei ca. 4%. Ohne die 2 selbst verschuldeten wären es 2%. Ein Traumwert, den man nur mit entsprechendem Glück bei den Abkalbungen erreichen kann. Ich bemühe mich um Bullen aus leichtkalbigen Linien (geringes Geburtsgewicht) und darum, dass die Kühe vor der Kalbung nicht zu fett sind.
Aber Pech kann man immer haben. Mein Onkel hatte z.B. mal einen Deckbullen mit Doppellender-Gen erwischt. Der Bulle selbst war normal bemuskelt, aber bei den Kälber ist es voll durchgeschlagen und er hat in dem Jahr gleich mehrere durch Schwergeburt verloren. Seither lässt er die Bullen vor dem Einsatz darauf testen...
Einen Gesundheitsvorteil habe ich auch durch die Frühjahrskalbung auf der Weide. Da ist die Keimbelastung einfach viel geringer als bei Winterkalbung im Stall. Aber der Abkalbezeitpunkt muss zum Betriebskonzept passen. Frühjahrskalbung kann nicht jeder machen.

Re: Kälbchentod - Zahlen?

Verfasst: Do 12. Jan 2012, 13:12
von Manfred
Nachtrag: Die Milchaustauscher sind heute so gut, dass sie als Ursache auszuschließen sind. Schwierig wird es, wenn zwischen Vollmilch und Milchaustauscher oder verschiedenen Milchaustauschern gewechselt wird oder wenn die Tränkezeiten / Temperaturen usw. ständig wechseln. Das wirft die Verdauung des Kalbes jedesmal durcheinander. Die Kälber werden im Normalfall 2 x am Tag, auf einigen Betrieben 3 x am Tag getränkt. Das reicht völlig aus. Auf der Weide liegen sie in den ersten Tagen auch die meisten Zeit im Versteck und schlafen während die Mutter grast und trinken nur wenige Male am Tag. Häufiger trinken sie erst mit zunehmendem Alter, wenn sie mehr Nahrung brauchen.

Re: Kälbchentod - Zahlen?

Verfasst: Do 12. Jan 2012, 13:13
von Alba
Nicht schlagen, aber warum stehen die Kälber nicht bei den Müttern?
Hab keine Ahnung, gut, die Frage lässt das schon durchschimmern, aber ich habe hier in der Nachbarschaft Hochlandrinder, die sind das ganze Jahr im Familienverbund draussen. Ist der Halter ein Öko? :hhe: (Dies war Ironie...gell!)

Re: Kälbchentod - Zahlen?

Verfasst: Do 12. Jan 2012, 13:15
von Manfred
Wenn man Milch "ernten" will muss man die Kühe halt melken, und das wirtschaftlich. Und das wird mit Kalb bei Fuß aufwändig bis unmöglich.

Re: Kälbchentod - Zahlen?

Verfasst: Do 12. Jan 2012, 13:17
von matt23
Alba hat geschrieben:Nicht schlagen, aber warum stehen die Kälber nicht bei den Müttern?
Hab keine Ahnung, gut, die Frage lässt das schon durchschimmern, aber ich habe hier in der Nachbarschaft Hochlandrinder, die sind das ganze Jahr im Familienverbund draussen. Ist der Halter ein Öko? :hhe: (Dies war Ironie...gell!)
Bei Mutterkuhhaltung (deine Hochlandrinder) werden die Kälber von der Mutterkuh aufgezogen. Es gibt auch konventionelle Mutterkuhhalter ;) Bei Ammenkuhhaltung zieht eine Kuh ihr eigenes und 2-3 fremde, oder auch nur fremde Kälber auf. In der Milchviehhaltung werden die Kälber von den Kühen getrennt, da der Mensch ja die Milch haben will. Würde man die Kälber bei der Kuh lassen, wäre nicht mehr viel Milch übrig. Die Kälber werden dann oft mit Milchaustauscher gefüttert, weil das billiger ist als Vollmilch.
Alles klar?