Japan

Was halt nirgendwo passt
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emil17
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Re: Japan

#181

Beitrag von emil17 » Fr 15. Apr 2011, 09:39

@Tanja: Danke

Was für mich völlig unverständlich ist: dass es nicht grenzüberschreitende Regeln bezüglich Mitsprache und Haftung gibt. Ein AKW im Dreiländereck CH-D-F ist eben nicht nur das Problem des Landes, in welchem es steht.
Bei Autos gibt es ja in ganz Europa die Regel, dass nur fahren darf, wer eine Haftpflicht hat. Damit ist wenigstens sichergestellt, dass Unschuldig in Unfälle verwickelte Fahrzeuge mit Schadenersatz rechnen können. Als Gegenleistung dürfen Fahrzeuge auch in anderen Ländern fahren als in denen, wo sie zugelassen sind.

Offenbar gelten für Kernkraftwerke andere Regeln, aber warum? Wer hat das wann mit welchem Rechtstitel beschlossen?
Im Schweizer Recht gibt es z.B. einen Passus:
Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
Entsprechendes dürfte sich auch im Bürgerlichen Gesetzbuch und im französischen Code civil finden.
Mindestens in der Schweiz gibt es keinen Passus wie "Diese Vorschrift gilt nicht für Betreiber von kerntechnischen Anlagen"; und untergeordnetes Recht kann übergeordnetes nicht aufheben. Noch weniger kann die Verwaltung Beschlüsse fassen und Verträge abschliessen, die geltendes Recht verletzen.
Wurde der Staat vom Volk berechtigt bzw. hat sich das Volk bereit erklärt, diese Haftung für AKWs selber zu tragen und so den Betreibern einen Freibrief zu erstellen?

Wie die "Liste der Unfälle in kerntschnischen Anlagen" zeigt, kommt es regelmässig zu Unfällen mit Schäden, also kann man diese Art von Anlagen nicht mit der Begründung, das Risiko sei vernachlässigbar, aus der Haftung nehmen.
Aus dem Gesetz ist auch nicht ersichtlich, warum die Haftung begrenzt sein kann.

Ich kann ja nicht die obligatorische Haftpflicht meines Autos nicht bezahlen mit der Begründung, ich sei bisher unfallfrei gefahren.

Vielleicht sollte man mal das Verfassungsgericht anrufen, um dies feststellen zu lassen?
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Benutzer 146 gelöscht

Re: Japan

#182

Beitrag von Benutzer 146 gelöscht » Fr 15. Apr 2011, 11:33

@emil17:

Völlig korrekte Überlegung! :daumen:
Aber-
Haben sich infolge von Wirkungen eines nuklearen Ereignisses gesetzliche Schadensersatzverpflichtungen des Inhabers einer im Geltungsbereich dieses Gesetzes gelegenen Kernanlage.. ....ergeben, so hat der Bund den Inhaber der Kernanlage oder den Besitzer radioaktiver Stoffe von Schadensersatzverpflichtungen freizustellen, soweit diese von der Deckungsvorsorge nicht gedeckt sind oder aus ihr nicht erfüllt werden können. 2Der Höchstbetrag der Freistellungsverpflichtung beträgt 2,5 Milliarden Euro. 3Die Freistellungsverpflichtung beschränkt sich auf diesen Höchstbetrag abzüglich des Betrages, in dessen Höhe die entstandenen Schadensersatzverpflichtungen von der Deckungsvorsorge gedeckt sind und aus ihr erfüllt werden können.
aus §34 Atomgesetz

ob die bei Fukushima mit 2,5 Mrd € auskommen.... :haha: :bang:

in dem Zusammenhang ist es interessant, mal nach dem sog. "Pariser Abkommen" zu googlen, da steht sogar ein Maximalbetrag von 700Mio € drin :eek:

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emil17
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Re: Japan

#183

Beitrag von emil17 » Fr 15. Apr 2011, 11:46

ja, aber eben:

WARUM kann ein untergeordnetes Gesetz wie das Atomgesetz einen Passus im Grundgesetz umgehen und MIT WELCHEM RECHT kann das Parlament oder wer auch immer das beschliessen, ohne das Volk in dieser Frage zu begrüssen - sowas kommt einer Umgehung des Grundgesetzes gleich!
Untergeordnete Gesetze sind doch dazu da, die zu Recht allgemein gehaltenen Bestimmungen des Grundgesetzes (das deswegen so heisst, weil es den anderen Gesetzen zu Grunde liegt) für bestimmte Bereiche zu präzisieren und weitergehend zu regeln, aber nicht, um das Grundgesetz in einzelnen Bereichen ausser Kraft zu setzen?
Hat das Bundesverfassungsgericht je dazu Stellung genommen, und falls nein, warum nicht?

Wenn es um Dinge wie Importverordnungen von Karamellplätzchen aus Drittstaaten in die EU oder so ginge, könnte man ja damit leben, aber das ...

de facto bedeutet, wenn ich deutsch kann, " ... so hat der Bund den Inhaber der Kernanlage oder den Besitzer radioaktiver Stoffe von Schadensersatzverpflichtungen freizustellen, soweit diese von der Deckungsvorsorge nicht gedeckt sind oder aus ihr nicht erfüllt werden können. 2Der Höchstbetrag der Freistellungsverpflichtung beträgt 2,5 Milliarden Euro", dass Schäden über den maximalen Bundesbeitrag von 2.5 Milliarden von gar niemandem mehr gedeckt werden, denn die Betreibergesellschaft wird man pleite gehen lassen.

Dafür kommt dann der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Betreibergesellschaft in die Notunterkunft der Evakuierten und entschuldigt sich "für die Umtriebe"
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Re: Japan

#184

Beitrag von roland » Fr 15. Apr 2011, 19:17

emil17 hat geschrieben:..., also kann man diese Art von Anlagen nicht mit der Begründung, das Risiko sei vernachlässigbar, aus der Haftung nehmen.
Die Kerntechnik ist nicht versicherbar! Daher gelten diese Ausnahmeregelungen. Wenn ein Schaden die gesamte Wirtschaft und alles im umkreis von 30km zerstört, dann kann das keine Versicherung der Welt bezahlen. Also, wen man die Kerntechnik will, darf man keine Haftung vorschreiben - so einfach und so grausam ists!
Also, die Frage, ob Du deine Autoversicherung nicht zahlen musst, ist falschrum gestellt, du kannst damit nicht genug Schaden anrichten, um freigestellt zu werden. :dreh:

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Re: Japan

#185

Beitrag von emil17 » So 17. Apr 2011, 10:03

[quote="roland Wenn ein Schaden die gesamte Wirtschaft und alles im Umkreis von 30 km zerstört, dann kann das keine Versicherung der Welt bezahlen. Also, wenn man die Kerntechnik will, darf man keine Haftung vorschreiben - so einfach und so grausam ists![/quote]
Das ist also das technische Gegenstück der Grossbanken - weil man es sich nicht leisten kann, die pleite gehen zu lassen, dürfen die alles. Es ist ja in unser allem Interesse.

Worauf wir uns nun der Kernfrage - im doppelten Sinne - nähern - WER darf rechtsverbindlich beschliessen, das zu wollen, und in welcher Form muss so ein Beschluss gefasst werden, damit er zwingende Bestimmungen übergeordneten Rechts abschwächen oder aufheben kann?
In dem Falle, wer kann erlauben, eine technische Anlage zu betreiben, trotz der Tatsache, dass sie nicht versicherbar ist, deren Betrieb jedoch ein nicht vernachlässigbares Risiko für Leben und Gut der Bevölkerung darstellt (wie die Wirklichkeit ja immer wieder zeigt) ?
Damit wäre dieser Entscheid in direktem Widerspruch zu Art. 2 des Grundgesetzes ("Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden") und ein diesbezügliches Gesetz muss präzise (im positiven Sinne einer erschöpfenden Aufzählung) vorsehen, wann und unter welchen Bedingungen wer welche Ausnahmen anordnen darf - als Beispiel wird hier z.B. die Blutprobeentnahme eines möglicherweise alkoholisierten Autofahrers gegen seinen Willen genannt. Auf keinen Fall kann eine Behörde diesen Entscheid verabschieden, da sie ja nur ein Exekutivorgan ist.

Man wird nun einwenden, das gleiche Risiko gelte ja für alle technischen Anlagen, seien es Staudämme, Flugzeuge oder Chemiefabriken. Allerdings bedeutet das bestenfalls, dass man die Frage dort ebenfalls behandeln muss - Mit dem Argument "ihr erwischt ja nicht alle Diebe und ich habe das Recht auf Gleichbehandlung" hat noch kein Richter einen Schelm laufen lassen.
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Re: Japan

#186

Beitrag von roland » So 17. Apr 2011, 13:40

emil17 hat geschrieben:Man wird nun einwenden, das gleiche Risiko gelte ja für alle technischen Anlagen, seien es Staudämme, Flugzeuge oder Chemiefabriken. Allerdings bedeutet das bestenfalls, dass man die Frage dort ebenfalls behandeln muss
Richtig - wobei ich doch einen unterschied mache, wenn von hunderten von Flugzeugen mal eins runterkommt und ein paar hundert Menschen sterben - aber danach ist alles vorbei! Chemiewerke direkt am Rhein ist da schon was anderes, aber auch das Beispiel zeigt, das die Folgen schlimm, aber überschaubar sind.
Denn im Gegensatz zur an einer Stelle künstlich angereicherten Radioaktivität hat die natur gegen die Chemikalien ect. Abbaumöglichkeiten oder findet Wege, damit umzugehen.
Damit will ich die anderen Umweltschädiger nicht entschuldigen, aber vergleichbar sind sie in der Nachhaltigkeit der Wirkung nicht.

Ganz richtig ist, wenn das Volk den Atomstrom nicht will, darf es ihn auch nicht geben - die Kundgabe dieses Willens läuft hier in deutschland halt über die Auswahl des Stromanbieters und die Wahlen. Entschieden wird dann von den gewählten Volksvertretern, auch das Teil des von Dir zitzierten Grundgesetz.

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Re: Japan

#187

Beitrag von emil17 » So 17. Apr 2011, 15:37

roland hat geschrieben:Ganz richtig ist, wenn das Volk den Atomstrom nicht will, darf es ihn auch nicht geben - die Kundgabe dieses Willens läuft hier in deutschland halt über die Auswahl des Stromanbieters und die Wahlen. Entschieden wird dann von den gewählten Volksvertretern, auch das Teil des von Dir zitzierten Grundgesetzes
Du weichst aus! Man kann über gewisse Dinge weder abstimmen noch kann man sie beschliessen oder verfügen. Zum Beispiel darf es keine Wahl oder Abstimmung über Dinge geben, die dem Grundgesetz widersprechen. Dazu müsste man erst das Grundgesetz selbst ändern.
Man kann z.B. NICHT beschliessen, dass nur noch Leute, deren Namen mit B oder F anfängt, Steuern zahlen müssen - um ein besonders absurdes Beispiel zu machen. Man kann nicht beschliessen, dass Leute einer bestimmten Sprache oder Landeszugehörigkeit von der staatlichen Schule oder von der medizinischen Versorgung ausgeschlossen werden (obwohl zu befürchten ist, dass sich da und dort eine "demokratische" Mehrheit für solche Ideen fände). Man kann auch keine Leute von einer Braunkohlelagerstätte vertreiben, OHNE sie voll und unbegrenzt ZU ENTSCHAEDIGEN. Ein Gesetz, das solches vorsieht, wäre verfassungswidrig.
Und meine Behauptung bzw. Frage läuft ja darauf hinaus, es sei festzustellen, ob die Erlaubnis zur Inbetriebnahme von Kernkraftwerken ohne Haftung im Katastrophenfalle verfassungswidrig sei oder nicht. Es geht nicht mal darum, wie viele dafür sind.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

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Re: Japan

#188

Beitrag von emil17 » Mo 18. Apr 2011, 08:45

Die Seite der TEPCO wurde seit dem 11.3.2011 nicht mehr nachgeführt, ist aber immer noch am Netz:
http://www.tepco.co.jp/en/challenge/ene ... ety-e.html

Man liest da z.B.
"Designed for the Largest Conceivable Earthquake
Before constructing a nuclear power plant, the site is carefully studied for previous earthquake records and geological features. This study establishes that there is no active fault under the site. Then, the building, the equipment, the piping, and other equipment are all designed to withstand the strongest possible earthquake in the area."

Man liest aber anderswo
http://earthquake.usgs.gov/earthquakes/ ... _06_15.php
dass in der gleichen Region 1896 bereits etwas sehr ähnliches passiert ist und dass es damals wegen eines 25m-Tsunamis 22'000 Opfer gab.

Soviel zu den Tatsachen und zur Phrase "are all designed to withstand the strongest possible earthquake in the area"
das Beängstigende, man kann die Webseite zu so ziemlich jedem AKW aufrufen und findet überall das selbe.

Ich möchte wirklich mal wissen, warum überall auf der Welt die Regierungen mit ihrem eigenen Volk Blindekuh spielen. Ich bin ja bekanntermassen kein Anhänger von Verschwörungstheorien, aber was geht da eigentlich ab?
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Re: Japan

#189

Beitrag von Dagmar » Mo 18. Apr 2011, 08:53

Hallo,

so mancher Politker findet es wahrscheinlich sehr "praktisch" :pft: , wenn er nach seiner politischen Karriere in irgendeinem großen Unternehmen dann im Aufsichtsrat landet. Um dieses Ziel zu erreichen darf er sich aber natürlich in seiner Amtszeit nicht die großen Unternehmen zu Feinden machen - sonst wird das nichts mit dem Job.

Also weniger eine große Verschwörung (ob durch Illuminaten oder sonstige), als das (aus)nutzen "normalen" menschlichen Verhaltens.


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Re: Japan

#190

Beitrag von roland » Mo 18. Apr 2011, 13:00

Hi,
emil17 hat geschrieben:Man kann über gewisse Dinge weder abstimmen noch kann man sie beschliessen oder verfügen. Zum Beispiel darf es keine Wahl oder Abstimmung über Dinge geben, die dem Grundgesetz widersprechen. Dazu müsste man erst das Grundgesetz selbst ändern.
...
Und meine Behauptung bzw. Frage läuft ja darauf hinaus, es sei festzustellen, ob die Erlaubnis zur Inbetriebnahme von Kernkraftwerken ohne Haftung im Katastrophenfalle verfassungswidrig sei oder nicht. Es geht nicht mal darum, wie viele dafür sind.
Ok, das ist eine gute Frage. Im Grundgesetz ist geregelt, das jeder Anspruch auf Entschädigung hat. Nicht jedoch, das jede Firma eine ausreichende Rücklage bilden muss/Versicherung abschliessen muss. Firmen können pleite gehen und damit den Zahlungen entgehen - auch das wäre somit ein Verstoss gegen das Grundgesetz. Ausser beim Autofahren und selbst dort nicht 100%ig ist nirgends ein kompletter finanzieller Ausgleich von den im schlimmsten Fall möglichen Folgen im Haushalt von Firmen eingeplant.
Somit wäre so ziemlich jede Firma, die grosse Schadenspotentiale hat, nicht Verfassungskonform!

Aber, mal ehrlich, wenn wir uns gegen alle möglichen Schäden finanziell absichern, so sind die Schäden immer noch möglich!! Hauptaugenmerk muss darauf gerichtet sein, das man nur Techniken einsetzt, die eben keine zu grossen Schäden erzeugen können - das Geld, das ist nur eine Seite!

Roland Walz

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