Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

Forenschänke und Smalltalk
Benutzer 4754 gelöscht

Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#61

Beitrag von Benutzer 4754 gelöscht » Fr 7. Jan 2022, 10:18

penelope hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 09:34
Ich wohne aktuell 50 m vom nächsten Acker und 100 m von nächsten Kuhstall entfernt. Riecht hier halt ab und an mal organisch - kein Problem. In Oldenburg muffte es bei passenden Wind auch mal 10 bis 20 km in die Stadt hinein. Hier in der Lüneburger Heide, 150 bis 200 km westlich, gibt es ein reales Problem, da jährlich mehrere Tonnen Stickstoff über den Wind eingetragen werden und die Natur dort aus dem Gleichgewicht bringen. Ein Landstrich mit dem gebräuchlich Namen " Güllegürtel" hat ein Problem.
Wenn du die hier nun schon seit Jahren schwelende Diskussion verfolgst stellst du fest:
wir sind alle für eine bessere Verteilung der Viehhaltung in Deutschland.

Bei einer Verfrachtung von mehren Tonnen pro Hektar wäre die Vegetation dort tot.
Die Lüneburger Heide ist keine Natur, es ist eine vom Menschen gemachte Kulturlandschaft die durch Jahrhunderte langen extremsten Raubbau an der Natur entstanden ist.

Die Ammoniakemmision aus einem Hühner oder Schweinestall lassen sich restlos aus der Abluft waschen, ist bei Neubauten Vorschrift. Altanlagen muss man umrüsten.
Aber das geht nur bei konventionellen Ställen.

Bio geht das nicht. Bei bio-Hühnern und Bio-Schweinen gehen alle Emmisionen ungefiltert direkt in die Luft.
das ist das große Problem wenn man ein Biostall bauen will: die Grenzwerte werden um ein Vielfaches überschritten und der Bau nicht genehmigt. Konventionell mit Luftwäscher wäre es kein Problem.

penelope
Beiträge: 743
Registriert: Mo 26. Nov 2018, 15:41

Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#62

Beitrag von penelope » Fr 7. Jan 2022, 10:30

https://www.landeszeitung.de/lueneburg/ ... -heide-zu/
(ich hab nicht pro Hektar geschrieben)

Ammoniakemissionen bei der Ausbringung von Gülle lassen sich nicht vermeiden.

Entstanden ist die Heide durch einen Raubbau an der Flächen (Fällung der Wälder, da man irre viel Hol zum Salz sieden gebraucht har). Auf diesem eigentlich toten Gelände hat sich dann über Jahrhunderte eine an die vorhandenen Bedingungen angepasste Bewirtschaftung mit einer hohen Artenvielfalt entstanden. Es ist keine Naturlandschaft, aber genau wie Streuobstwiesen oder Almen eine traditionelle Kulturlandschaft, die vielen Arten Lebensraum bietet und daher sehr wertvoll ist.

Benutzer 4754 gelöscht

Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#63

Beitrag von Benutzer 4754 gelöscht » Fr 7. Jan 2022, 11:30

penelope hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 10:30
https://www.landeszeitung.de/lueneburg/ ... -heide-zu/
(ich hab nicht pro Hektar geschrieben)

Ammoniakemissionen bei der Ausbringung von Gülle lassen sich nicht vermeiden.
Eine Angabe der Menge ohne die Fläche ist sinnlos, weil nichts sagend.
Mein Auto verbraucht auch kubikmeterweise Benzin.
Sagt das etwas über den tatsächlichen Verbrauch aus?
Nein.

In ihrem Düngerversuch haben sie das Doppelte vom Eintrag gedüngt.
Das wäre so wie wenn man auf Weizen 400 Kg Stickstoff pro Hektar düngt, für ein Versuch ganz nett aber völlig ohne Aussagekraft.
Klar passiert da was. Dass das Kraut und Kraut schießt und weniger Wurzeln bildet ist doch ganz klar. Bisher war dort Stickstoff im Mangel. Düngt man ihn fördert man das vegetative Wachstum. Die Wurzelmasse geht zurück weil die Pflanze auch mit weniger Wurzeln ausreichend gut versorgt ist, warum sollte sie da mehr Wurzeln bilden als nötig?
Die Ergebnisse sind also nicht wirklich überraschend.



Ammoniakemmisionen lassen sich auf verschiedene Weise auf praktisch null drücken.
Entweder die direkte Einarbeitung mittels Güllegrubber/-scheibenegge oder das Ansäuern auf pH < 7.
Schon der Einsatz eines Schleppschuhverteilers lässt die Ammoniakmenge ggü althergebrachter Technik stark sinken.
All das sind aber teure Maschinen die sich nur wirtschaftlich starke Betriebe leisten können und nur von Großbetrieben ausgelastet werden kann.

Der Kleinbetrieb fährt weiterhin mit dem 10m3 Prallteller, bis der dann 2025 ganz verboten wird.

wörpedahler
Beiträge: 148
Registriert: Mo 15. Nov 2021, 14:40
Familienstand: verheiratet

Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#64

Beitrag von wörpedahler » Fr 7. Jan 2022, 11:32

Oelkanne hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 10:05
im Übermaß ist alles schädlich. Im Übermaß setzt aber niemand Düngemittel ein, abgesehen davon dass es verboten ist kostet es unnötig Geld.
Sorry, aber das ist eine Null-Aussage. Argumentativ erinnert mich das an "illegale Drogen sind illegal, weil sie verboten sind".

Ich habe eine Gärtnerausbildung im Raum Oldenburg gemacht. Dabei durfte ich eine ganze Reihe Betriebe von Innen sehen und hatte eine Berufsschullehrerin, die sehr engagiert war und aus dem "Nähkästchen" erzählen konnte.
Faktisch kann ich dir sagen, dort wird Dünger sehr simpel verwendet: "Viel hilft viel". Ich habe mehrfach selbst miterlebt, wie Dünger nach Gefühl ausbebracht wurde (gerne auch: Das machen wir schon immer so!). Gerne auch sowas wie: "Das ist noch ein halber Sack, komm den machen wir jetzt leer, sonst steht der über Winter offen rum."
Genau genommen habe ich in der ganzen Zeit nicht einmal erlebt, dass überhaupt der Dünger-Bedarf ermittelt wurde. Es wurde einfach was drauf gehauen.

Das Gleiche gilt für den Pflanzenschutz. Herbizid auf gepflasterten Höfen: Alltag. Darauf müsste bei einem proffesionellem Gärtnerbetrieb eine Strafe von 50.000€ stehen (Pflanzenschutzgesetz Abschnitt 4 Paragraph 12). Ich habe aber immer nur gesehen, wie alle schnell weggeguckt haben.
Aber auch bei der legalen Anwendung von Pflanzenschutzmittel: In der Berufsschule wurde integrativer Pflanzenschutz mit Schadensschwelle immer wieder runter gebetet. Bitte achtet darauf liebe Azubis und tragt das in die Betriebe.
In den Betrieben dann: So einen Blödsinn machen wir hier nicht. Wir spritzen jedes Jahr im Mai, dann passiert auch nix. (Schutzausrüstung ist vorhanden, um sie bei einer Prüfung zeigen zu können, benutzt wird sie nicht)
Ich kannte auch einen Betrieb der einen grösseren Vorrat eines Pflanzenschutzmittels angelegt hatte, weil der Verkauf verboten worden war, aber Restbestände durften noch verwendet werden. Also wurde "das gute starke Zeug" noch schnell in Mengen gekauft, bevor der Handel es nicht mehr hatte, damit man die nächsten Jahre weiter offensichtlich gefährliches Gift spritzen darf. Der Gärtnermeister hat sogar damit angegeben wir clever er ist und das er der einzige ist, der noch "richtiges" Pflanzenschutzmittel hat.

Und wenn du jetzt sagst: Ja das sind Gärtnereien, wir reden hier über Landwirtschaft. Da waren mehrere grosse Gemüse- und Obstgärtner dabei. Das ist mal mindestes Lebensmittelerzeugung.

Ich kann also dein Argument ganz einfach faktisch entkräften: Es wird sehr wohl überdüngt, ich habe es selber gesehen und miterlebt. Und nicht nur einmal, sondern systematisch.


An der Diskussion finde ich Bestürzend, wie die Realität verzerrt wird. Ich kann nachvollziehen, dass die Bauern einen Schmerz haben. Sie möchten so weiter machen wie bisher. Sie möchten ihren Lebensunterhalt verdienen. Nicht wenige haben enorme Summen bis hin zu Millionen Euro in Anlagen und Technik investiert. Klar wäre das ein Problem, wenn man in die falsche Technik investiert hat. Und klar ist das ein doofes Gefühl wenn deine Arbeit, deine Lebensweise angegriffen wird. Schnell wird das persönlich genommen.

Auf der anderen Seite sind aber eben auch nicht nur Leute die keinen Bauernhof riechen wollen (ja, die gibt es auch). Es sind auch einfach Leute dabei, die trinkbares Wasser erhalten wollen. Das ist ja denke ich erstmal ein nachvollziehbarer Wunsch. Nicht umsonst gibt es den Straftatbestend der Brunnenvergiftung schon seit der Antike und wurde immer besonders hart bestraft. Und natürlich wollen auch diese Leute was essen, was der Bauer produziert hat. Möglichst noch günstig.

Die Frage ist: Können wir es uns langfristig erlauben so weiter zu machen, wie bisher?

Ich persönlich glaube es würde viel bringen, wenn die bestehenden Regeln mal hin und wieder kontrolliert und durchgesetzt würden. Bestehende Gesetze anzuwenden dürfte ja eigentlich nicht kontrovers sein, oder? Dann würde deine Aussage "Das machen wir nicht, weil es verboten ist" auch ein kleines bisschen näher an die Realität rücken.

Benutzeravatar
Rohana
Förderer 2018
Förderer 2018
Beiträge: 5624
Registriert: Mo 3. Feb 2014, 21:31
Familienstand: verheiratet
Wohnort: Oberpfalz

Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#65

Beitrag von Rohana » Fr 7. Jan 2022, 13:47

penelope hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 09:34
Hier in der Lüneburger Heide, 150 bis 200 km westlich, gibt es ein reales Problem, da jährlich mehrere Tonnen Stickstoff über den Wind eingetragen werden und die Natur dort aus dem Gleichgewicht bringen.
Man müsste dazu sagen dass das, was du als "Natur" bezeichnest, also die Heidelandschaft, aus Pflanzengesellschaften von Spezialisten auf durch menschliches Einwirken massiv verarmtem Boden besteht, somit eine Kulturlandschaft ist. Und ja, nicht nur dort haben arme Standorte ein Problem durch potentielle Nährstoffeinträge.
(Zur Entstehung der Heidelandschaft siehe z.B. https://naturpark-lueneburger-heide.de/ ... zeitleiste , wobei ich mich frage wie Plaggenwirtschaft als "nachhaltiges System von Nährstoffentnahme und Nährstoffanreicherung" bezeichnet werden kann :aeug:)
Oelkanne hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 11:30
Ammoniakemmisionen lassen sich auf verschiedene Weise auf praktisch null drücken.
Entweder die direkte Einarbeitung mittels Güllegrubber/-scheibenegge oder das Ansäuern auf pH < 7.
Schon der Einsatz eines Schleppschuhverteilers lässt die Ammoniakmenge ggü althergebrachter Technik stark sinken.
All das sind aber teure Maschinen die sich nur wirtschaftlich starke Betriebe leisten können und nur von Großbetrieben ausgelastet werden kann.

Der Kleinbetrieb fährt weiterhin mit dem 10m3 Prallteller, bis der dann 2025 ganz verboten wird.
Mal ganz abgsehen dass die lieben Politiker sich auf Verfahren versteifen, die eben nicht alternativlos sind :bang: aber Hauptsache mal x Millionen Förderung für Maschinen ausgegeben die eigentlich keiner haben will, dann hat man ja was gemacht...

wörpedahler hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 11:32
Ich habe eine Gärtnerausbildung im Raum Oldenburg gemacht. Dabei durfte ich eine ganze Reihe Betriebe von Innen sehen und hatte eine Berufsschullehrerin, die sehr engagiert war und aus dem "Nähkästchen" erzählen konnte.
Faktisch kann ich dir sagen, dort wird Dünger sehr simpel verwendet: "Viel hilft viel". Ich habe mehrfach selbst miterlebt, wie Dünger nach Gefühl ausbebracht wurde (gerne auch: Das machen wir schon immer so!). Gerne auch sowas wie: "Das ist noch ein halber Sack, komm den machen wir jetzt leer, sonst steht der über Winter offen rum."
Genau genommen habe ich in der ganzen Zeit nicht einmal erlebt, dass überhaupt der Dünger-Bedarf ermittelt wurde. Es wurde einfach was drauf gehauen.
Gratuliere. Wann war das denn? Und wenn du ständig solche schlimmen Zustände gesehen hast, warum hast DU nichts gemacht sondern dich in die Reihe derer gestellt die wegschauen?

Ich kann nur für unseren Betrieb sprechen und halt für das was ich von Kollegen aus der Landwirtschaft höre und sehe, nein, Landwirtschaft und Gärtnerbetriebe sind zwei verschiedene Paar Stiefel. Aber vielleicht solltest du heute nochmal in dieselben Betriebe gehen und schauen ob es immer noch so ist, vor 50 Jahren haben die Uhren durchaus noch anders getickt. Das ist mittlerweile weder erlaubt noch wirtschaftlich.
Ich kann also dein Argument ganz einfach faktisch entkräften: Es wird sehr wohl überdüngt, ich habe es selber gesehen und miterlebt. Und nicht nur einmal, sondern systematisch.
Dann hast du also die Düngebedarfsermittlungen gemacht? Und weisst wieviel gebraucht, und wieviel gedüngt wurde?
An der Diskussion finde ich Bestürzend, wie die Realität verzerrt wird.
Glaubst du wirklich dass die Realität ausschliesslich aus dem besteht, was in Brüssel auf dem Papier festgelegt wird?
Auf der anderen Seite sind aber eben auch nicht nur Leute die keinen Bauernhof riechen wollen (ja, die gibt es auch). Es sind auch einfach Leute dabei, die trinkbares Wasser erhalten wollen.
Eine gewisse Dekadenz springt mir da ins Auge... ich setze mich auf die Finger.
Die Frage ist: Können wir es uns langfristig erlauben so weiter zu machen, wie bisher?
Ja, ich frage mich auch wo das hinführen soll wenn immer weiter nachhaltig die landwirtschaftliche Infrastruktur zugrunde gerichtet wird, zusammen mit den Familienbetrieben.

Insofern scheint Selbstversorgung jederzeit sinnvoll. Man sollte sich halt auch ihrer Grenzen bewusst sein und nicht im Enthusiasmus meinen dass man ohne weiteres "alles" selbst machen könnte... vielleicht führt das hin und wieder mal zu Dankbarkeit gegenüber denen, die es ermöglichen dass man eben nicht ALLES selbst machen MUSS. Nur so'n Gedanke.
Ein jeder spinnt auf seine Weise, der eine laut, der andere leise... (Ringelnatz)

wörpedahler
Beiträge: 148
Registriert: Mo 15. Nov 2021, 14:40
Familienstand: verheiratet

Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#66

Beitrag von wörpedahler » Fr 7. Jan 2022, 15:54

Rohana hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 13:47
wörpedahler hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 11:32
Ich habe eine Gärtnerausbildung im Raum Oldenburg gemacht. Dabei durfte ich eine ganze Reihe Betriebe von Innen sehen und hatte eine Berufsschullehrerin, die sehr engagiert war und aus dem "Nähkästchen" erzählen konnte.
Faktisch kann ich dir sagen, dort wird Dünger sehr simpel verwendet: "Viel hilft viel". Ich habe mehrfach selbst miterlebt, wie Dünger nach Gefühl ausbebracht wurde (gerne auch: Das machen wir schon immer so!). Gerne auch sowas wie: "Das ist noch ein halber Sack, komm den machen wir jetzt leer, sonst steht der über Winter offen rum."
Genau genommen habe ich in der ganzen Zeit nicht einmal erlebt, dass überhaupt der Dünger-Bedarf ermittelt wurde. Es wurde einfach was drauf gehauen.
Gratuliere. Wann war das denn? Und wenn du ständig solche schlimmen Zustände gesehen hast, warum hast DU nichts gemacht sondern dich in die Reihe derer gestellt die wegschauen?

Ich kann nur für unseren Betrieb sprechen und halt für das was ich von Kollegen aus der Landwirtschaft höre und sehe, nein, Landwirtschaft und Gärtnerbetriebe sind zwei verschiedene Paar Stiefel. Aber vielleicht solltest du heute nochmal in dieselben Betriebe gehen und schauen ob es immer noch so ist, vor 50 Jahren haben die Uhren durchaus noch anders getickt. Das ist mittlerweile weder erlaubt noch wirtschaftlich.
Das war in den 2000ern. Warum ich nix gemacht habe? Erstmal war ich Azubi, da denkt man am Anfang noch, man hat keine Ahnung und die wissen was sie tun. Später habe ich was gesagt und es stellte sich heraus: Der Betrieb wusste, dass es nicht in Ordnung ist, die Berufsschule wusste Bescheid, hatte aber Angst um die Ausbildungsplätze, die Landwirtschaftskammer wusste Bescheid, hatte aber gar keine Motivation was zu machen.

Am Ende war es ein politisches Problem und damit zu gross für einen Azubi.

Über den Unterschied zwischen Landwirtschaft und Gemüse-Gärtner können wir vortrefflich streiten. Wenn ich meiner Oma ein Gewächshaus mit mehreren ha zeige, in dem nur Tomaten wachsen, dann sagt die ganz klar: "Das ist ein Bauer". Der Unterschied zwischen Agrawirt und Gemüsegärtner ist für den Normalmensch egal und leider auch für das Ergebnis dieser Diskussion, ob und wie Lebensmittel erzeugt werden.
Rohana hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 13:47
wörpedahler hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 11:32
Ich kann also dein Argument ganz einfach faktisch entkräften: Es wird sehr wohl überdüngt, ich habe es selber gesehen und miterlebt. Und nicht nur einmal, sondern systematisch.
Dann hast du also die Düngebedarfsermittlungen gemacht? Und weisst wieviel gebraucht, und wieviel gedüngt wurde?
Hättest du meinen Beitrag gelesen, dann hättest du gemerkt: Es wurde keine Düngebedarfsermittlung gemacht, weder von mir noch von sonstwem und das wiederum weiss ich mit Sicherheit. Es wurden auch weder in meinen Ausbildungsbetrieben, noch in den Betrieben meiner Mit-Azubis jemals Bodenproben gezogen.
Nach einer abgeschlossenen Ausbilung ist mein gesamtes Wissen zur Düngebedarfsermittlung rein theoretisch und stammt aus der Berufsschule.
Rohana hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 13:47
wörpedahler hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 11:32
An der Diskussion finde ich Bestürzend, wie die Realität verzerrt wird.
Glaubst du wirklich dass die Realität ausschliesslich aus dem besteht, was in Brüssel auf dem Papier festgelegt wird?
Hättest du meinen Post gelesen, wüsstest du, dass ich eben nicht über Brüssel und Papier rede. Ich rede über genau das was ich Jahrelang erlebt habe. Über meine Erfahrungen und Erkenntnisse im Alltag. Ich glaube viel Realer wird es nicht mehr, oder? Oder muss ich mich erst selbst in einen Düngersack verwandeln? Muss ich erst selbst eine Blattlaus sein?
Rohana hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 13:47
wörpedahler hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 11:32
Auf der anderen Seite sind aber eben auch nicht nur Leute die keinen Bauernhof riechen wollen (ja, die gibt es auch). Es sind auch einfach Leute dabei, die trinkbares Wasser erhalten wollen.
Eine gewisse Dekadenz springt mir da ins Auge... ich setze mich auf die Finger.
Trinkbares Wasser ist dekadent? Finde ich eine interessante Ansicht? Nicht dekadent ist dann, wenn man direkt aus der Güllegrube säuft, oder wie soll ich das verstehen?
Rohana hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 13:47
wörpedahler hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 11:32
Die Frage ist: Können wir es uns langfristig erlauben so weiter zu machen, wie bisher?
Ja, ich frage mich auch wo das hinführen soll wenn immer weiter nachhaltig die landwirtschaftliche Infrastruktur zugrunde gerichtet wird, zusammen mit den Familienbetrieben.
Finde ich spannend, wie selbstverständlich heute die landwirtschaftliche Infrastruktur und die Familienbetriebe immer Agrafabriken sind. Landwirtschaft, wie wir sie heute normal finden, gibt es erst seit nach dem zweiten Weltkrieg. Wie genau hat die Menschheit eigentlich die 10.000 Jahre vorher überlebt? Und wo kommen die Familienbetriebe her, die es teils schon seit hundert Jahren gibt, die also auch schon lange vor der Erfindung des Kunstdüngers existiert haben? Fragen über Fragen, die mich beschäftigen.

Spannenderweise bin ich bei dem Punkt ja sogar bei dir: Das Brüssel mit Verordnungen die Kleinbauern/Familienbetriebe (und auch die Selbstversorgung) verhindert. Aber meiner Meinung nach eben nicht mit einer Düngemittelverordnung, sondern mit ganz anderen Dingen, die nur für Grossbetriebe funktionieren.

Benutzeravatar
emil17
Beiträge: 11096
Registriert: Di 21. Sep 2010, 08:07
Wohnort: In der Schweiz da, wo die Berge am höchsten sind

Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#67

Beitrag von emil17 » Fr 7. Jan 2022, 19:00

Ich glaube schon, dass die Düngebedarfsermittlungen durchgerechnet werden, und dass vor allem Grossbetriebe die auch einzuhalten versuchen, weil bei 500 ha schon einiges an Geld draufgeht oder eben nicht.

Nur funktioniert es eben trotzdem nicht, wie Grundwasserqualität und Biodiversitätsverlust zeigen. Daran ist nicht nur die Landwirtschaft schuld, aber hier geht es in der Diskussion um den Teil des Problems, der mit der Landwirtschaft zu tun hat. Das ist massiv, weil reichlich die Hälfte der Gesamtfläche Deutschlands landwirtschaftliche Nutzfläche ist und weil bei der Biodversität viele Arten betroffen sind, die streng an landwirtschaftliches Kulturland gebunden sind.

Wenn man durch Messungen und durch die eigene Nase feststellen kann, dass es ein Problem gibt, dann ist es nicht zielführend, einfach die Vorschriften zu zitieren und das Gegenteil zu behaupten.
Aus dem genau gleichen Grund besucht AmnestyInternational die Gefangenen und lässt sich nicht bloss von der Regierung die Gefängnisreglemente vorlegen.
Hierzu noch eine Parallele aus einem anderen Bereich: An der Gotthardautobahn wurden und werden die zulässigen Grenzwerte an Stickoxiden usw. dauernd und massiv überschritten. Jedem normalen Menschen ist die Ursache klar: der viele Verkehr im engen Tal. Nur die Autolobby behauptete stur, dies könne nicht die Ursache sein - siehe Abgasvorschriften. Es seien die Holzheizungen, die Ausdünstungen von Terpenen durch Nadelhölzer, und so weiter. Dann war mal der Tunnel wegen einem Brand ein paar Tage zu und die Autobahn leer, und siehe da, die Werte waren blitzartig tief. Autobahn wieder offen, NOx ging wieder rauf.

Weiter stelle ich einfach fest, dass offenbar gewisse Berufslandwirte unfähig sind, andere Werte als Produktivität gemessen in Ertrag pro Fläche und Zeit überhaupt wahrzunehmen, wie die Äusserungen über die Heide zeigen. Das ist kein Pauschalurteil: ich konnte auch Landwirte kennenlernen, die die Vegetation und Fauna auf ihrem Land sehr viel besser kennen als so mancher Diplom-Biologe.

Ich hatte übrigens auch mal so ein Schlüsselerlebnis, wie sich Theorie zu Praxis in der Landwirtschaft verhalten: Ich war damals bei einem Arbeitseinsatz bei einem Bauern - eine tolle Sache (nicht nur wegen dem seiner Tochter) und wir waren abends müde und wussten warum. Der hatte also ein Fliegenproblem im Kuhstall und wollte ein Mittel kaufen, was ihm der Verkäufer der LW-Genossenschaft auch aus dem Giftschrank holte. Ich sah das breite rote Band auf der Flasche, da stand: Nicht für Milchviehställe zulässig, im gleichen Gebäude dürfen keine Futtermittel gelagert sein (der Stall war unter dem Heustock wie überall in der Gegend), Schutzanzug tragen und so weiter. Der Verkäufer erwiderte, dummes Zeug, leg eine Regenpelerine an, spritz den Viechern nicht an den Kopf und gut ist. So wurde es gemacht, gestorben ist keiner, also alles paletti.
Heute ist natürlich alles viel besser, und kein heutiger Praktiker würde auch nur auf die Idee kommen, es mit gewissen lästigen Vorschriften nicht so genau zu nehmen.

Man mache also Versuche, auf jahrzehntelang voll produktiven und entsprechend gedüngten Schlägen in einem Grundwassereinzugsgebiet die Düngemenge zurückzufahren und die Ertragseinbussen und die Güte des Oberflächen- und Grundwassers zu messen.

Ach so, das gibt es ja schon: In extensiv landwirtschaftlich genutzen Einzugsgebieten, wo wenig oder nicht gedüngt wird, sind die Werte tief. Ach so, das ist nicht vergleichbar, weil da nur Weidewirtschaft gemacht wird? Natürlich, denn es kann ja nicht sein, was nicht sein darf.

Zur Reinigung von Mist-und Güllewagen nach dem Beladen: Oh doch, man kann. Man muss es aber wollen oder müssen. Viel mehr als einen Hochdruckschlauch braucht es dazu nicht.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

Benutzeravatar
Taraxacum
Förderer 2018
Förderer 2018
Beiträge: 699
Registriert: So 31. Dez 2017, 20:33
Familienstand: glücklich verheiratet

Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#68

Beitrag von Taraxacum » Fr 7. Jan 2022, 20:47

Viel mehr als einen Hochdruckschlauch braucht es dazu nicht.
Wo kriegst du denn an jedem Ackerrand das Wasser dafür her? :hmm:

Manfred

Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#69

Beitrag von Manfred » Fr 7. Jan 2022, 20:56

Emil, erzähl doch keinen solchen Blödsinn.
In D haben wir teils in Gebieten, wo überhaupt keine landwirtschaftliche Nutzung stattfindet, sehr hohe Nitratwerte.
Zudem sind bei diversen Messtellen mit erhöhten Nitratwerten außerlandwirtschaftliche Ursachen bekannt.
Trotzdem werden diese sollte Messtellen nach Brüssel gemeldet und damit Maßnahmen gegen die Landwirtschaft begründet.

Messungen der Auswaschung unter landwirtschaftlichen Nutzflächen erfolgen seit Jahrzehnten.
z.B. auf den Flächen meines Onkels in Oberbayern, weil er jahrelange die Sonderregelung für über 170 kg Stickstoff aus Wirtschaftsdünger in Anspruch genommen hat. Auf dem sehr wüchsigen Standort dort ist das völlig unkritisch. Die Pflanzen setzen die Düngermengen um.

In unserem Wasserschutzgebiet dürfen in Zone 2 auf 30er Böden die intensivsten landwirtschaftlichen Kulturen (hier Erdbeeren, extrem Humuszehrer und Mais) angebaut werden, mit künstlicher Bewässerung und chemischer Düngung.
Weidehaltung, Mist und Gülle dagegen sind dort aus Wasserschutzgründen verboten.

Wenn man solche Gesetze und Verordnungen macht, gezielt den Humus und damit das Nährstoffpuffervermögen zerstört und den vermehrten Einsatz schnelllöslicher chemischer Dünger erzwingt, braucht man sich nicht wundern, wenn das aufs Grundwasser geht...
Aber selbstverständlich sind die Tierhalter schuld.

Benutzeravatar
emil17
Beiträge: 11096
Registriert: Di 21. Sep 2010, 08:07
Wohnort: In der Schweiz da, wo die Berge am höchsten sind

Re: Vom Sinn und Unsinn der Selbstversorgung

#70

Beitrag von emil17 » Sa 8. Jan 2022, 00:07

Manfred hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 20:56
Wenn man solche Gesetze und Verordnungen macht, gezielt den Humus und damit das Nährstoffpuffervermögen zerstört und den vermehrten Einsatz schnelllöslicher chemischer Dünger erzwingt, braucht man sich nicht wundern, wenn das aufs Grundwasser geht...
Aber selbstverständlich sind die Tierhalter schuld.
Na, immerhin ist es nun doch die Landwirtschaft, selbstverständlich alles Opfer unsinniger Vorschriften. Ein paar Beiträge vorher hiess es noch, eben wegen der Vorschriften könne gar keine Überdüngung sein.
Wer zuviel leicht löslichen Mineraldünger aufs Mal draufhaut, so dass der Boden nicht alles speichern kann, bis die Pflanzen es abholen, der kann natürlich nichts dafür, wenns aufs Grundwasser geht, obwohl er oder sie es ausgebracht haben. Auch das ist nur wegen den Gesetzen und Verordnungen.
Ebenfalls einige Beiträge vorher hiess es, man würde schon deshalb nie mehr düngen als was verwertet werden könne, weil das unwirtschaftlich sei.
Manfred hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 20:56
In D haben wir teils in Gebieten, wo überhaupt keine landwirtschaftliche Nutzung stattfindet, sehr hohe Nitratwerte.
Bestreitet niemand, nur - um die geht es hier nicht.
Wenn es aber stimmt, dass die ausgebrachten Düngermengen aufgenommen werden, dann müsste es doch auch reichlich Flächen mit Düngung bis zum erlaubten Maximum geben, wo die Nitratwerte tief sind? Warum hört man davon in der Diskussion nichts? Warum nur "Nitrat ist unschädlich, Nitrat ist sogar gesund, es wird unfair gemessen, die Bauern sind es nicht?
Manfred hat geschrieben:
Fr 7. Jan 2022, 20:56
Zudem sind bei diversen Messtellen mit erhöhten Nitratwerten außerlandwirtschaftliche Ursachen bekannt.
"diverse" - wieviele der hochbelasteten im landwirtschaftlichen Nutzgebiet sind das? Und wie hoch ist bei denen der vermutete ausserbetriebliche Anteil?
Und bei wievielen Messtellen im landwirtschaftlichen Nutzgebiet ist die Belastung hoch ohne erkennbaren ausserbetrieblichen Anteil?

Gemäss Expertenbericht (auch etwas weiter oben) werden zweifelhaften Messstellen nicht berücksichtigt - die wissen selber nur zu gut, dass sie sich damit selbst dann unglaubwürdig machen, wenn es nur sehr wenige wären.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

Antworten

Zurück zu „Zur lustigen Wildsau“